26. Mai 2021
Interviews

Wie Sieht das Ihre Partei? – Interview mit Dirk Nockemann (AfD)

In diesem Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt. Wir haben für Sie mit allen Landesvorsitzenden der großen Hamburger Parteien gesprochen.

Dirk Nockemann AfD

Dir Nockemann AfD – Foto: AfD

Dirk Nockemann ist seit 2017 Landesvorsitzender der AfD Hamburg und seit Oktober 2018 Vorsitzender seiner Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.

Herr Nockemann, wie will Ihre Partei die Wirtschaft wieder aufrichten und zukünftig mitgestalten?

Wir haben in der Bürgerschaft schon mehrfach darauf hingewiesen, dass wir, so traurig es ist, nicht nur die Intensivstationen im Blick haben müssen, sondern auch Handel, Gewerbe und auch Industrie. Das fehlt uns im Augenblick ein bisschen. Wir müssen hier schauen, dass wir einiges ausprobieren müssen, so wie es beispielsweise auch Tübingens Oberbürgermeister gemacht hat. Wir müssen kreativ sein und wir müssen auch mal etwas wagen.

Nach dem Bundestagswahlkampf wird das ganze Ausmaß des wirtschaftlichen Niedergans überhaupt erst offenbar werden. Was wir für absolut schädlich halten, sind überzogene Anforderungen an den Klimaschutz, mit denen die Wirtschaft stranguliert werden würde. Die Grünen reden irgendetwas von einem gigantischen Investitionsprogramm mit dem sie die Wirtschaft aufpäppeln wollen. Über Investitionsprogramme kann man gut und gerne reden, die Frage ist, wo kommt das Geld her, wenn man nicht unbedingt neue Schulden machen will. Also bevor wir über Investitionen reden, müssen wir erst mal gucken, was wir gar nicht wollen. Und das sind immer wieder neue Anforderungen an CO2-Abgaben oder -Bepreisungen. Das Ganze ist Gift für die Wirtschaft. Wenn die Wirtschaft eines nicht braucht, ist es Planungsunsicherheit. Hier muss man wissen, was man in den nächsten fünf oder 10 Jahren investieren soll. Wir haben eine wahnsinnige Loh- und Abgabenlast in Deutschland. Wir haben Unternehmenssteuern, die weit höher sind, als im Rest Europas. Natürlich fragen sie, wenn wir später die Unternehmenssteuer senken wollen, wie finanzieren wir das Ganze. Da muss man einfach sagen, dass der Sozialstaat ein wenig zu fett geworden ist. Auch da muss es mal Abstriche geben bei Leistungen. Wir geben Jahr für Jahr, an Folgen von 2015 und der Zuwanderung 60 Milliarden Euro aus. Dieses Geld fehlt uns natürlich irgendwo auch.

Was müsste sich in der Wirtschaft noch ändern?

Wir haben die vielleicht höchsten Strompreise auf dem Planeten. Aktuell 30 Cent pro Kilowattstunde. In den USA ist es die Hälfte. Wenn ich mit Hamburg mal ein Beispiel nennen darf. In Hamburg haben wir die Kupferhütte. Das sind absolut stromintensive Betriebe. Auch wenn es Erleichterungen gibt, müssen sie mit jedem Cent rechnen und sie werden es sich nicht mehr lange leisten können, in Deutschland zu produzieren. Deshalb sagen wir, „nicht auch bitte noch unser Kraftwerk Moorburg abschalten“. Wir brauchen günstige Energien. Wir haben nichts gegen Globalisierung, aber sie muss auch dem einzelnen Menschen zugute kommen. Da gibt es sicher Einzelne die gegen Globalisierung sind, aber für Hamburg kann ich das nicht sagen.

Ich möchte eine Zwischenfrage stellen. Die AfD ist, nach eigener Aussage, eine Volkspartei. Sie haben nun die Begriffe „Lohnlast“ und „Senkung von Unternehmenssteuer“ genannt. Die Gewerbesteuer ist eine der größten Einnahmequellen für Kommunen. Ich habe nun herausgehört, dass die Unternehmen entlasten werden sollen. Aber wie genau soll das Geld wieder in den Steuertopf kommen? Und wo bleiben da die Arbeiter?

Ja es muss Geld in den Steuertopf kommen, das ist richtig. Aber ich sagte auch, dass der Sozialstaat zu fett geworden ist. Da ist noch soviel Potential, was brach liegt und wir heben müssen. Und wir müssen sehen, dass auch mehr Geld für die Leute übrig bleibt. Sie wissen ja, was sie an Steuern bezahlen. Nach der Hälfte des Jahres arbeiten sie endlich mal für sich selbst. Da muss man durchaus auch anfangen, die Leistungen zu überprüfen. Der Staat kann nicht mehr für alles zuständig sein und alles finanzieren. Das ein oder andere wird gestrichen werden müssen. Nach den Bundestagswahlen wird es meiner Auffassung nach darum gehen, vielleicht nicht die Renten zu kürzen, aber vielleicht das ein oder andere Nulljahre einzulegen – das gleiche bei den Beamtenpansionen, zumindest wenn man die Schuldenbremse ernst nimmt. Es wird runtergehen bei den Leistungen und das Arbeitskräftepotential muss aktiviert werden. Es muss in den beruf gehen. Bevor wir also aus dem Ausland anwerben, sollten wir hier aktivieren und dann kommen auch ganz schöne Steuereinnahmen zustande. Mann muss dann keine Sozialleistungen zahlen, sondern die Leute arbeiten dann für ihr Geld. Die offenen Stellen können wir auch deshalb nicht besetzen, weil manche unlustig sind, die wollen nicht arbeiten. Und andere sind noch nicht hinreichen qualifiziert. Auch da muss man schauen, warum wir einen Facharbeitermangel haben. Investitionen in Forschung und Entwicklung. Anhebung des Brutto-Inlandproduktes, mindestens 3,5%. Steuerliche Forschungsförderung. Unternehmen, die forschen, entlasten.

Was sind die Umweltziele Ihrer Partei?

Jemand der nicht nachhaltig agiert, ist nicht vernünftig. Man kann nicht die Ressourcen abfrühstücken und dann sagen, nach mir die Sintflut. Umweltschutz ist für mich vor allem Naturschutz. Was wir haben müssen wir erhalten und pflegen, wiederaufforsten. Baumwirtschaft ist das beste Beispiel. Halten Sie es für nachhaltig, wenn wir in Hamburg luxuriöse Radwege bauen dafür aber hundert Jahre alte Bäume fällen? Das ist für mich nicht mehr nachhaltig. Ich will auch Radwege. Aber wir haben Radwege und die sollen instand gesetzt werden. Ich muss da nicht überall neue machen und dafür auch noch Bäume fällen. Und es ist für mich auch nicht nachhaltig, wenn wir alles mit Windrädern pflastern. Da würden wir wirklich sagen, moderne Kohlekraftwerke dürfen wir nicht einfachabschalten, weil sie im Grundlastbereich gut sind. Bei den Kernkraftwerken sind wir dafür, wie auch im Rest Europas, Japans und den USA, zu prüfen, inwieweit da neue und moderne Kernkraftwerke gebaut werden, um den Klimawandel dann zu stoppen. Wir würden Moorburg nicht schließen, dafür Wedel sofort. Wir würden dann auch entsprechend mit Fernwärme in Moorburg arbeiten. Dann brauchen wir den modernen Zertifikatehandel. Was wir nicht wollen ist die überbordende Klimahysterie. Wir wollen natürlich mit Innovation arbeiten, um den Ausstoß von Klima relevanten Gasen zu vermindern. Aber es kann nicht so sein, dass Deutschland ständig vor allen voranmarschiert, vor allen Industrieländern auf dem ganzen Planeten. Die Ziele, die wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt haben, gibt es nirgendwo anders und das finden wir hochdramatisch.

Wie schätzen Sie unser Bildungssystem ein und was müsste sich eventuell ändern?

Für mich ist unser Bildungssystem nicht besonders leistungsfähig. In den für die Wirtschaft relevanten Fächern, den Naturwissenschaften, landet Deutschland generell weit abgeschlagen. Das muss sich ändern. Bildung ist der einzige Rohstoff den wir in Deutschland haben.

Wir vertreten die Auffassung, dass wir mehr fordern als fördern müssen. Natürlich auch fördern, aber es muss nicht jeder an die Universität. Wir wollen explizit Förderzentren an den Schule, auch für Hochbegabte. Wir wollen die anderen nicht zurücklassen. Auch die müssen natürlich gefördert werden. Aber wir bekennen uns dazu, dass wir eine Elite im technologischen Bereich haben, die modernste Entwicklungen vorantreiben kann. Denn davon lebt Deutschland natürlich. Und wenn wir gute Studenten wollen, eine exzellente Schulausbildung brauchen. Wir möchten den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht stärken. Wir müssen auch die Besoldungsverhältnisse in den Schulen verändern. Wenn man den Lehrermangel im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften, muss man die Besoldung verändern, damit man den Nachwuchs kriegt. Und man muss auch schon frühzeitig den Reiz in den Schulen setzen, damit die Schüler sich für diese Fächer interessieren. Wir wollen die finanzielle Förderung von Ausbildungen, also Meister statt Master, voranbringen. Gerade auch an den Berufsschulen wollen wir wieder junge Lehrer, die ihren Schülern das Beste und Modernste vermitteln können. Und das dreigliedrige Schulsystem ist nicht so schlecht, wie man es gemacht hat. Es hat durchaus seine Vorteile.

Wie kann man die Freiheit der Bürger garantieren und gleichzeitig deren Sicherheit?

Ich sage, da wo wir Sicherheitsgesetze haben, wo der demokratische Gesetzgeber auch die Gesetze geschaffen hat, dann muss man diese Instrumentarien auch zur Anwendung bringen. E kann doch zum Beispiel nicht sein, dass man es kritisiert, wenn wir terroristische Islamisten abschieden und irgendjemand sagt das ginge so nicht. Wir haben durch das Parlament gegebene vernünftige Sicherheitsgesetze und die müssen auch ausgeführt werden. Was natürlich weiter geht – manche Verfassungsschutzmaßnahmen, Polizeigesetze und ein BKA-Gesetz … sie kennen die Debatte über den Staatstrojaner, die Onlinedurchsuchung und so weiter. Das sind Gesetze wo auch ich nicht sage, das müssen wir alles sofort mit fliegenden Fahnen alles haben und wir müssten möglichst weit die Freiheit der Bürger einschränken.

Ich bin auch Bürger und ich habe eine Aversion dagegen, wenn man meine Rechte einschränkt. Wir haben weitgehende Eingriffe in die Bürgerrechte. Ein Freund davon bin ich nicht. Wenn sie notwendig sind, ja, für einen gewissen Zeitraum. Machen wir uns nichts vor. Wir sind immer noch im Fokus des internationalen Terrors. Der Konflikt in Syrien geht weiter. In Libyen gibt es Bürgerkriegszustände. Wir hatten das auch im Jemen. Da ist nicht auszuschließen, dass diese Konflikte zu uns herüberschwappen oder dass Terroristen Deutschland als Ruheraum nutzen.

Diese Menschen werden ja auch überwacht. Aber wollen wir auch nicht vergessen, dass die größten terroristischen Bewegungen in jüngster Zeit von links und rechts kamen.

Nehmen wir als Beispiel die Weihnachtsmärkte. Das sind ja Hochsicherheitsmärkte nach den Anschlägen. Ich denke die Linken haben zwar auch etwas gegen Weihnachtsmärkte, aber die würden so etwa nicht machen. Und die Rechten haben auch andere Sachen im Kopf – das ist ja auch nichts Gesundes. Da gehen durchaus noch Gefahren von harten Islamisten aus. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht islamophob. Absolut nicht. Mir ist egal, wo jemand herkommt. Wenn er hier in Deutschland vernünftig arbeitet, die Gesetze beachtet und mich nicht zu irgendeinem Gott bekehren will, dann ist mir das völlig egal. Und da brauchen sie Aussteigerprogramme, auch gegen links und rechts, ganz klar. Die müssen entsprechend hinterlegt sein mit Manpower und Geld.

Kommen wir zum nächsten Punkt. Brauchen wir eine (Verteidigung-) Armee?

Wir müssen da unterscheiden: Die Nato ist ein in der AfD umstrittenes Thema. Ich kann für Hamburg klipp und klar sagen, dass wir der Auffassung sind, dass wir die NATO weiter brauchen. Wir brauchen auch eine vernünftige Verteidigungsarmee und wir brauchen ein europäisches Verteidigungsbündnis.

Wir brauchen aber auch eine Armee die leistungsfähig ist. Ich kann eine Armee nicht kaputtsparen und dann sagen, jetzt fahrt ihr trotzdem nach Mali. Deshalb sage ich, klares Bekenntnis zur Bundeswehr, sie muss aber auch entsprechend ausgerüstet werden. Und, von mir aber auch vom Landesverband Hamburg, ein klares Bekenntnis zur NATO.

Kommen wir zur Gleichstellung und Gendergerechtigkeit. Brauchen wir eine Frauenquote und was halten Sie oder die AfD von gendergerechter Sprache?

Es darf nicht sein, dass es ungleiche Bezahlung gibt. Wir haben früher in den 80er-Jahren die Debatten über Leichtlohngruppen. Da wurden Frauen eingeordnet, weil sie angeblich leichtere Arbeit verrichtet haben.

Aber ich sage gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Was wir nicht wollen, das sind Quoten. Weil Quoten in unseren Augen, da spreche ich jetzt für die ganze AfD, leistungsfeindlich sind. Jemand der sich anstrengt, muss nachher sehen, wie andere an ihm vorbeiziehen. Weil sie zum Beispiel zu anderen Bevölkerungsgruppen gehören: Mann, Frau, alt, jung, homo, hetero und was es da sonst noch alles geben kann. Ich halte nichts von Quoten, schon gar nicht in Parlamenten aber auch nicht in den großen Unternehmen. Als Firmeninhaber muss ich schon bestimmen können, wer bei mir arbeitet oder wer im Verwaltungs- und Aufsichtsrat sitzt. Was nicht passieren darf ist ganz klar, dass man sagen kann „ich mag keine Frauen, ich finde Frauen nicht leistungsbezog.“ Das ist ganz klar diskriminierend und dagegen muss man gerichtlich vorgehen. Wenn sie jetzt zur Gendersprache kommen, da muss ich klar sagen, sind wir uns in der Partei alle einig. Gendersprache ist eine Verhunzung unserer natürlich gewachsenen Sprache. Sie stoppt den natürlichen Rede- und Lesefluss. Wir lehnen es ab, dass eine kleine Minderheit eine große Mehrheit dominiert. Die Sprache gehört uns allen und nicht den Entscheidungsträgern in der Verwaltung oder Politik.

Deutschland ist Zuwanderungsland. Wie ist Ihre Position zur Zuwanderung und Integration?

Der große Teil der Partei hat überhaupt nichts dagegen, wenn Menschen nach Deutschland kommen, die hier arbeiten können, die eine gewisse Qualifikation haben, die zum Bruttosozialprodukt beitragen, die sich vernünftig eingliedern. Die müssen sich nicht komplett assimilieren, wie man so schön sagt. Auch da gibt es natürlich andere, die meinen, sie müssten sich hier total angleichen. Auf dem Standpunkt stehe ich natürlich nicht. Wenn ich in andere Länder gehe möchte ich auch einen bestimmten Bestandteil meiner Kultur weiter haben können, solange der nicht auf Konfrontationskurs mit den Menschen geht, wo ich mich dann hinbegebe. Wir haben einen Fachkräftemangel. Wenn man die Stellen nicht mehr durch deutsche Fachkräfte besetzen kann und zwar gut besetzen, kann – es nützt ja nichts, irgendwen da hinzusetzen und zu sagen, jetzt arbeite mal – dann muss man es durch Zuwanderung lösen.

Ich habe in München so viele bekannte aus der koreanischen Szene. Ich kann nur froh sein, dass sie hier sind. Die unterscheiden sich überhaupt nicht, wenn die da im Biergarten sitzen. Völlig normale Geschichte und es ist egal, woher sie kommen. Hauptsache sie passen sich an die Gesetze an und leisten etwas. Das ist meine persönliche Meinung. Und ich weiß, dass das viele in der AfD ähnlich sehen. Nicht alle. Weiß Gott nicht. Das ist die Arbeitsmarktzuwanderung, die wir brauchen. Wie das kanadische Modell. Das wollen wir auch haben. Parallelgesellschaften lehnen wir komplett ab. Das ist auch klar. Integration sehen wir als eine Art Bringschuld an. Natürlich muss der Staat eine engsprechende Infrastruktur und Ressourcen bereitstellen. Genügend Sprachkurse, Vermittlung von Gesetzen, so wie das auch bei der Einbürgerung der Fall ist, oder wenn man einen längeren Aufenthaltstitel haben will. Aber die, die sich nicht integrieren wollen, die brauchen wir nicht und die wollen wir auch nicht.

Das Recht auf Asyl wollen Sie aber unangetastet lassen, oder? Es steht schließlich in der Verfassung.

Es wird allgemein sehr kontrovers diskutiert. Ich versuche gendergerecht zu schreiben und möglichst zu sprechen. Die gendergerechte Sprache halte ich für sehr wichtig und bemühe mich darum und versuche auch alle dazu zu motivieren. Wichtig ist aber vor allem gegen die Diskriminierung von LGBTIQ-Menschen in allen Lebensbereichen anzugehen.

Wir haben eine Verfassung, zu der stehen wir auch. Da steht eine ganze Menge drin. Und wir wollen die Verfassung beachten. In der Verfassung steht das Recht auf Asyl. Das ist auch völlig klar. Aber dort steht auch, wer aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, der hat einen eingeschränkten Anspruch. Wer aus sicheren Drittstaaten kommt, der hat gar keinen Anspruch. Da wir von sicheren Drittstaaten umgeben sind, hat, wer von dort kommt, eigentlich gar keinen Anspruch.Warum macht man ein Gesetz, wenn man es dann nicht anwendet. Warum ändert man die Verfassung, weil man sagt, das ist jetzt alles egal. Dann destabilisiert das auch irgendwie den Rechtsstaat. Anspruch auf Asyl ja, aber nicht über sichere Drittstaaten.

Sie spielen hier auf das Asylgesetz aus den 90ern an. Hinzukommt auch das Dublin-Verfahren, das sich auf sichere Einreise von Drittstaaten bezieht. Demnach wäre Deutschland im Prinzip unerreichbar für Geflüchtete. Wäre das gegenüber den anderen europäischen Staaten nicht ungerecht und etwas zu bequem gedacht?

Wer mit dem Flugzeug nach Deutschland kommt, darf hier Asyl beantragen. Meist steigt er mit Pass in den Flieger, hat ihn aber dann im Flugzeug verloren. Insgesamt kommt aber nur eine kleine Gruppe auf dem Luftweg. Falls Deutschland im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern viel zu wenig „echte“ Asylbewerber aufnimmt, ist entweder ein finanzieller Ausgleich zu schaffen oder aber die Asylbewerber müssen entsprechen einer Quote verteilt werden. Unbillige Härten für europäische Länder darf es nicht geben. Noch besser wäre es, die europäische Außengrenzen werden massiv geschützt, so dass nur noch echte Asylbewerber nach Europa kommen.

Wie gut ist unser Gesundheitssystem und wie stehen Sie zur Bezahlung im Gesundheitsbereich?

Unser Gesundheitssystem ist je nach dem ob man privat- oder gesetzlich versichert ist, anders zu beurteilen. Das heißt, vom grundsätzlichen Standard, denke ich, bekommt schon jeder die Grundleistungen, die er braucht, damit er nicht auf dem Krankenbett verstirbt. Wir wollen jetzt nicht die eine Bürgerversicherung aber diese Ungleichbehandlung darf es auch nicht geben. Wenn ich bekannte sehe, die erst nach drei Monaten dran kommen, bekomme ich schon ein schlechtes Gewissen. Ich denke dann, natürlich zahle ich ein wenig mehr dafür, aber wenn jemand dafür drei Monate warten muss, ist das auch nicht schön. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das deutsche wirklich ein leistungsfähige. Ich möchte nicht in England krank werden oder in den USA, zumindest nicht als Armer.

Das allgemeine Gesundheitssystem ist nicht so schlecht, wie es geredet wird. Wir wollen diese Zweiklassenmedizin durchaus abschaffen. Im Ärztebereich wollen wir die Budgetierung abschaffen und das Honorarsystem für gesetzliche und private Patienten aufkommens- und einkommensneutral angeglichen werden.

Wie sicher sind die Renten noch?

Das ist bei uns eine schwierige Geschichte. Bei uns stehen sich zwei Positionen gegenüber. Von Jörg Meuthen auf der einen Seite, der ein hohes Maß an privater Versicherung möchte – Rentenversicherung Aktienfonds… Und dann gibt es die Position, z.B. von Herrn Chrupalla und insbesondere den östlichen Bundesländern. Die sagen, es muss weiterhin einen gesetzlichen Anspruch geben. Und da muss man sich in den beiden Modellen näher kommen. Es kann sein, dass man einen Grundteil der Rente normal gesetzlich auch über Steuerzuweisungen abdeckt, dass aber auch ein anderer Teil privat gesichert wird. Das Problem ist natürlich, wenn es einen Crash gibt, haben sie natürlich mit Zitronen gehandelt. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Alterselend, Altersarmut produzieren und wir müssen es auch zulassen, das, wer im Alter arbeiten möchte, dass möglichst ohne große Anrechnung dazuverdienen darf.

Sie haben erwähnt, dass Herr Meuthen einen großen Teil privater Absicherung vorschlägt. Wie sollen das gerade Geringverdiener leisten können, die nicht so viel zurücklegen können?

Völlig richtig. Deshalb sollte ein Teil der Zwangsabgaben dafür verwendet werden. So wie es teilweise in Skandinavien der Fall ist. Das muss schon ohne große Bürokratie über staatliche Fonds passieren. Wenn sie sich die großen Fonds ansehen, dann haben sie im Schnitt 5 Prozent Steigerung, das ist schon ein erklecklicher Betrag, der die Rentenkasse entlasten kann. Aber im Zweifel muss natürlich der Staat einspringen. Es kann ja nicht sein, dass wir die Menschen an Altersarmut leiden lassen.

Was würden Sie an der deutschen Infrastruktur ändern?

Fangen wir mit Hamburg an. Ich kenne die unseelige Debatte über die Elbvertiefung, die nun endlich beendet ist. Ich kenne die Dauerdebatte über die Köhlbrandbrücke. Wir befürworten hier einen neuen Elbtunnel. Große Brücken sind baufällig, Straßen sind baufällig. Man kann es ja nicht verkennen. Ich komme aus Bergedorf. Eigentlich ist die Autobahn dort vierspurig aber ist seit anderthalb Jahren dreispurig, weil eine Brücke erneuert wird. Das ist auch in Ordnung, aber das müsste viel umfassender passieren. Man hat in der Vergangenheit viele Straßen verfallen lassen, weil man die Grunderneuerung nicht angegangen ist. Wir Hamburger leben von einer vernünftigen Infrastruktur bei der Straße und im Schienenverkehr. Gut da kommt die Bahn nicht nach aber da wird ein großer Programm aufgelegt. Ist auch gut so.

Und was wir brauchen ist eine vernünftige digitale Infrastruktur. Da sind wir ja ziemlich weit im Rückstand. Wenn Sie sich die baltischen Staaten ansehen, sind wir wirklich ein Entwicklungsland. Wir brauchen die schnellen Datenleitungen, wie 5G. Das sind wirklich Entwicklungschancen durch die Vernetzung. Unbedingt Milliarden da rein. Man muss da die Zukunftsfähigkeit durch Investitionen bereitstellen.

Herr Nockemann, sie gaben zu verstehen, dass sie nicht mit allem, was in Ihrer Partei passiert, einverstanden sind. Genauer, ging es Ihnen um das Denken mancher Mitglieder. Warum arrangieren sie sich mit diesen Menschen?

Sie finden in sehr vielen Parteien ein breites Meinungsspektrum. Da muss man mit teilweise harten Bandagen um Mehrheiten kämpfen. Was ich für kontraproduktiv halte, sind die rückwärtsgewandten Debatten, die aus einer bestimmten Ecke kommen. Diese Debatten sind eher schädlich. Wir müssen uns vielmehr um die aktuellen Gegenwartsprobleme kümmern: Wir brauchen exzellente Bildungseinrichtungen, gute und faire Rahmenbedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Unsere Industrie hat leider viel an Zukunfts- und Innovationsfähigkeit verloren.

 

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