1. März 2016
Magazin

THEMA: Theater in der Notaufnahmer

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TIMS THESEN 

THEMA: Theater in der Notaufnahmer

Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
In der letzten Zeit mal eine Notaufnahme besucht? Oder eine Notfallpraxis? Ein Andrang wie beim neuen iPhone – die Tagespresse berichtete. Dank eines hektischen Naturells und manchmal auch großen Pechs konnte ich das Thema in den letzten Jahren persönlich untersuchen. Zunächst ein paar Tipps (ohne Gewähr): Bei Schnittwunden mit Glasscherben kommen Sie rasant dran, selbst wenn sie zu Hause anständig verbunden wurden. Kaum hingesetzt, da werden Sie schon aufgerufen und trotz ärgerlichen Murmelns der anderen Patienten ins Behandlungszimmer geführt. Der Grund für die Hektik ist mir unbekannt. Tetanusgefahr?

Bei einem verrenkten Rücken mit tauben Fingerspitzen brauchen Sie sich gar nicht hinsetzen. Sofortige Anamnese. Da kann das Wartezimmer murren, wie es will. Eine gespaltene Lippe und emsiges Bluten führt immerhin noch zu einer stark verkürzten Wartezeit von wenigen Minuten. Das Gemecker der Mitwartenden ist in dem Fall erträglich. Ihren „Focus“ will keiner.

Verbrennungen zweiten Grades auf Handflächen führen ebenfalls zur sofortigen Behandlung. Schreien und Stöhnen ist völlig überflüssig.

Auch nach Genuss einer schlechten Auster können Sie erhobenen Hauptes die Praxis betreten (wenn Sie das allein noch schaffen) und werden binnen Sekunden am schimpfenden Wartezimmer vorbeigeführt.

Zu diesem Zeitpunkt werden Sie sich bei Stammgästen der Klinik den Ruf eines Mistbocks erworben haben, der sich durch Klüngel oder Bestechung auf der Warteliste nach vorne mogelt. Laut Presseberichten kommt nämlich kaum ein Patient der Notfallpraxen und -aufnahmen auf die Idee, er sei fehl am Platz.

Warum nicht? Warum sitzen da immer mehr Berufstätige mit Halsschmerzen, Frauen mit Migräne, Familien mit leicht fiebernden Kindern und das immer weiter anschwellende Heer der Hypochonder mit ihren von Google diagnostizierten Krebsvarianten? Rasant verlaufenden Krebsvarianten, bei denen jede Stunde zählt. Neben Google ist die eine Theorie unser immer schnelleres Leben, das nach ebenso schneller Heilung verlangt. Meiner Meinung nach hingegen ist es der Wahn, wir seien individuell geformte Edelsteine.

In Zeiten, in denen sich Erwin eher mit seiner Familie identifizierte als mit T-Shirt- oder Automarken, wird er den Besuch der Notfaufnahme in der Nacht auf den Sonntag als übermäßiges Theater gesehen haben. Frau und Kinder würden wach liegen und sich sorgen.

Wenn Erwin jedoch überzeugt ist, eine einzigartige Lebensform in ihrem höchsten Stadium zu verkörpern, dann ist selbst die 1:1.000.000-Chance des Exitus’ in – akzeptabel. Handlungszwang! Sofort!

Nach diesen Erkenntnissen gehe ich grundsätzlich nicht mit Schnupfen in die Notaufnahme. Ich bin dann auch zu sehr geschwächt, liege im Bett und werde von meiner Familie über sechs oder sieben Tage intensiver Pflege wieder hergestellt. Traditionell eben.

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