30. September 2017
Magazin

THEMA: Interviews?

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TIMS THESEN 

THEMA: Interviews?

Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Eine der schönsten journalistischen Formen ist das Interview. Lebendig, menschlich, mit Esprit und unberechenbarem Witz.

Ist Ihnen nie aufgefallen? Dann lesen Sie mal eine Zeitung aus dem angelsächsischen Sprachraum, da finden Sie all diese Qualitäten. In Deutschland wird’s hingegen schwierig. Der Grund ist das „Autorisieren“. Es ist kein Gerücht, sondern Realität: Im Gegensatz zu den Kollegen in den USA und England schicken deutsche Journalisten dem Interviewten vor der Drucklegung seine eigenen Worte. Der Interviewte darf damit machen, was er will, und exakt das tut er. Er denkt sich eigene Fragen aus und beantwortet sie in der salbungsvollen Art arabischer Investoren oder er leitet den Text an eine PR-Abteilung weiter, die dann jeden einzelnen Satz durch ein vorgefertigtes Bauteil ersetzt. Aus werden Herausforderungen, aus wird suboptimal etc. Die dritte Gruppe erinnert sich nicht, das alles so gesagt zu haben (trotz Bandaufzeichnung, versteht sich) und streicht alles, was auch nur im geringsten Konflikt (also Spannung) bietet.

Das passiert natürlich nicht in 100 Prozent der Fälle. Es gibt Menschen, die sind in der Lage, frei zu sprechen und danach auch zu dem Gesagten zu stehen. Das sind etwa zwei von zehn. Bei den anderen acht bemerkt der Leser bei Frage drei, dass der Text interessant ist. PR-Abteilungen bilden sich gerne ein, das sei nicht der Fall, aber nehmen Sie doch mal eine Seite deutsches Interview und lesen Sie den Text laut vor. Spricht so ein Mensch? Sagen Menschen wirklich „Wir sind gut aufgestellt, um den Herausforderungen volatiler Märkte zu begegnen“?

Unsere Redaktion ist natürlich keine Ausnahme. Wenn der Leser bei der Lektüre eines KLÖNSCHNACK-Interviews denkt, dann kann das eigentliche Gespräch enorm spannend gewesen sein. Aber danach wird halt „autorisiert“.

Der deutsche Journalist ist rechtlich natürlich nicht ansatzweise zu diesem Vorgehen verpflichtet. Er ist mittlerweile mental aber derart, kooperativ, dass er sich selbst einredet, das sei guter Stil, alte Gepflogenheit, Seriosität oder ähnliches.

Das ist natürlich Schwachsinn. Der Journalist scheut den Konflikt, scheut Streit, scheut den Redaktionsschluss, das fehlende Weihnachtspräsent und so winkt er das Gesülze durch.

These: Die deutsche Praxis des „Autorisierens“ ist eine Erlaubnis zum Fälschen von Interviews. Sie ermöglicht Personen Interviews zu geben, die weder die Artikulationsfähigkeit noch den Mumm dazu haben.

Das Paradoxe dabei ist: Der Interviewte mitsamt seiner PR-Meute scheint ernsthaft zu glauben, die neue Fassung würde ihn beim Leser besser dastehen lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn der Paradiesvogel plötzlich klingt wie Walter Ulbricht, dann gehen die Assoziationen in Richtung Macher.

Spedition Reimler
Seemann & Söhne KG
Johann Abels Malereibetrieb GmbH

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