1. April 2016
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THEMA: Ein Syrer sagt: „Passt schon!“

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TIMS THESEN 

THEMA: Ein Syrer sagt: „Passt schon!“

Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Die Hamburger gelten bekanntlich als muffelig, sind mit diesem Ruf aber meist nicht glücklich und wehren sich dagegen.

Das ist in meinen Augen hoffnungslos. Dazu eine Anekdote. Ich wohnte einmal mit einem US-Amerikaner unter einem Dach, der sich in Deutschland einer riskanten Operation unterziehen musste. Als ich ihn nach dem Eingriff blass und elend im Bett liegen sah und ihn besorgt fragte: „How are you?“, lautete die Antwort: „Great, thanks.“ Dieses great war natürlich ein sprachlicher Reflex ohne echten Inhalt. Derlei wertet man hierzulande als oberflächlich, als Fahnenflucht vor dem Ernst.

Fragen wir nun einen gesunden Hamburger bei milden Temperaturen an der Elbe nach seinem Befinden, dann klingt die Antwort meist so: „Man schlägt sich so durch.“ „Kann nicht klagen.“ „Gibt wenig zu meckern.“ „Muss ja.“ „Passt schon.“ „Hilft ja nichts!“ „Nützt ja nichts!“ „Joaaah …“

Warum ist das so? Woher der Drang, wie ein Geprügelter zu wirken? Die gängige Theorie lautet: Das Erbe der Calvinisten. Hamburger lassen sich nach wie vor von protestantischer Ethik leiten, die uns leidvolles Schuften als noble Tätigkeit verkaufen will. Wohlergehen ist hingegen verdächtig nahe der Todsünden. Wollust, Völlerei, so etwas eben.

Meine These ist simpler: Reine Gewohnheit. Der Grund der Miesepetrigkeit existiert schon lange nicht mehr, aber alle haben sich über Generationen daran gewöhnt – so wie auch kein Mensch mehr sagt: „Das geht nicht“, sondern alle nur noch blöken: „Das geht gaaa nicht.“ Der Mensch will eben zur Herde und wenn die Herde schlecht drauf ist, dann heißt das Losungswort nicht „Great – never been better!“, sondern „Beschissen wäre geprahlt!“

Selbst Bürgerkriegsflüchtlinge werden das ruck-zuck lernen, da bin ich sicher. Man denke sich den Dialog eines geflohenen Syrers mit seiner in Aleppo verbliebenen Frau.

Frau am Telefon: „Aiman, Liebster, wie geht’s dir bei den Deutschen?“

„Passt schon.“

„Passt …? Also geht es dir gut?“

„Muss ja.“

„Was musst du? Bist du gesund? Gibt es anständiges Essen?“

„Joaaaah …“

„Aiman, was soll das heißen? Antworte! Geht es dir gut?“

„Kann nicht klagen.“

„Klagen?! Das wäre ja auch noch schöner, wenn Monsieur klagen wollten, während wir hier …!“

Wenn Syrer bald international einen Ruf als Muffel haben, dann sind wir Hamburger nicht ganz unschuldig.

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