30. Juni 2016
Magazin

THEMA: Der Verkäufer und das braune Pferd

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TIMS THESEN 

THEMA: Der Verkäufer und das braune Pferd

Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Neulich im Schuhladen vor einem Paar Derbys aus Pferdeleder. Frage an einen Verkäufer: „Gibt es die auch in Schwarz?“

„Nein, Schuhe aus Pferdeleder gibt es nur in Braun. Das ist die natürliche Farbe der Pferdehaut. Das sind ja keine Eisbären.“

Ich lachte pflichtschuldig. Der Verkäufer sah mich konsterniert an und da bemerkte ich: Der meinte den Stuss ernst. Wort für Wort. Später in einem Weinladen in der Innenstadt vor einer Flasche Sancerre. Mittelprächtiges Gesöff, aber teuer, selbst für einen Sancerre. Frage an den Verkäufer: „Warum ist der so teuer?“

„Der besteht zu hundert Prozent aus der Traube Sauvignon blanc. Sehr selten, daher der Preis.“ Sancerre wird in Millionen Hektolitern gekeltert und besteht grundsätzlich aus Sauvignon Blanc. Also ein Täuschungsversuch oder wieder mal ein völlig ahnungsloser Heini.

Am späten Nachmittag dann im Backhus. „Gibt’s noch Rosinenbrötchen?“

Verkäuferin mit Stalingrad-Miene, falschen Fingernägeln und Hals-Tattoo: „Sehen Sie hier welche?!“ Flucht zu Rewe. Kundin vor mir fragt an der Kasse: „Können Sie mir zwei Zehner zurückgeben.“

Kassiererin: „Nö!“

Kundin: ???

Kassiererin lacht bis sie fast vom Stuhl fällt. Ermuntert die Kassenschlange mitzulachen über diesen geist – reichen Scherz. Kriegt sich über Minuten nicht mehr ein. Tage später in der Zeitung: Service-Personal wird knapp. Gastronomen suchen verzweifelt nach Verstärkungen, finden aber keine.

Das Bizarre dabei: Die Inhaber der Geschäfte und Bars selbst sagen, die Jobs seien zu schlecht bezahlt, daher würd’s niemand machen. Der Mindestlohn betrage eben nur 8,50 Euro, sorry.

Das erinnerte mich an eine Bewerbung für einen Studentenjob bei einem Kunsthändler. Der setzte mir auseinander, welch gewaltigen Anforderungen an mich gestellt würden, dass ich pro Woche 20 Stunden arbeiten müsste und dafür pro Stunde – Tusch! – fünf Euro erwarten dürfte. Mit anderen Worten: Das Sackgesicht wollte eine Halbtagsstelle als Minijob bezahlen. Wäre ich gezwungen gewesen, die Stelle anzutreten, dann hätte ich den Laden nach Kräften sabotiert, ausgeplündert, die Kunden subtil beleidigt – einfach aus Schutz meiner Selbstachtung. Ich wäre dann keine prekäre Existenz gewesen, sondern eine Art Widerstandskämpfer im Kampfe mit den Umständen.

Ich bin mir fast sicher, dass der eine oder andere der oben Geschilderten das genauso sieht. Wer 8,50 Euro bekommt und noch Hoffnung verspürt, der redet sich ein, dass dieser Job nur vorübergehend sei, ein Intermezzo, für das sich Fortbildung und Einsatz kaum lohne.

These für Juli: Mindestlohn rauf. Erst dann hört das Personal auf, Stuss zu erzählen und „Witze“ zu reißen.

HS BauTeam, Bau- und Grundstücksgesellschaft mbH
Pielström Haustechnik GmbH
ISOTEC Hamburg GmbH

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