1. Dezember 2015
Magazin

THEMA: Clever saufen zum Fest

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TIMS THESEN 

THEMA: Clever saufen zum Fest

Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse 
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse 
Weihnachten ist in Sicht: Familie, Eintracht, Besinnlichkeit und das starke Verlangen nach einer Flasche mindestens volljährigem Côtes du Rhône, ohne die solche Feiertage nur schwer erträglich sind.

Apropos: Ein guter Freund von mir geriet letztens in einem Restaurant in schwieriges Fahrwasser. Sein Tischnachbar fragte ihn, wie viel er so tränke? Er antwortete wahrheitsgemäß: „Wenn das Zeug was taugt, so viel wie irgend möglich.“ „Bitte? Das heißt?“

„Na ja, normal ist eine halbe Flasche Wein am Tag …“ „AM TAG?!“

Mein Freund machte eine entschuldigende Geste und erklärte, dass er es zumindest versuche. „Hin und wieder ist man krank oder verlegt den Korkenzieher … Ich gleiche das dann am Wochenende aber wieder aus!“ Große Empörung am ganzen Tisch. Dann laute Konversation über Sport, vegane Ernährung und ostentatives Bestellen einzelner Gläser badischen Spätburgunders, gefüllt mit zwei Zentilitern, zu 6,75 Euro das Stück. Mein Freund wirkte eingeschüchtert und sagte minutenlang kein Wort mehr. Dann beugte er sich zu mir und fragte leise: „Kannst du dich erinnern, wann du das letzte Mal in einem Restaurant ein EINZELNES GLAS WEIN bestellt hast? Macht man das jetzt so?“ „Nein“, sagte ich und orderte eine erfreuliche Flasche Minervoirs, die wir uns zu zweit schmecken ließen. Lautes Stühlerücken. Wohl jeder am Tisch vergrößerte den Sicherheitsabstand zwischen sich selbst und den beiden Trunkenbolden. Gesprächsthemen nun: Suchtberatung, Beileidsbekundung an die Familien. Danach erneut ostentatives Bestellen einzelner Gläser Pinotage für 8,75 Euro das Stück.

Zwischenbemerkung: Eine Flasche Wein fasst 0,75, ein Weinglas etwa 0,2 Liter. Ergo enthält die Flasche vier Gläser, deren Eichstrich keineswegs benetzt wird. Verteilt auf zwei Leute klingt das nicht gerade nach Mutprobe.

Warum also die Hysterie? Warum finden speziell Hamburgs Großstadtveganer eine Weinflasche ebenso bedrohlich wie einen ganzen Kalbskopf in der Küche? Warum rennen sie über rote Ampeln, empfinden aber das zaghafte Übertreten von WHO-Richtlinien als direkten Weg ins Pik Ass?

Eine These wäre körperliche und moralische Selbstoptimierung durch Verzicht. Das würde vordergründig zu besagten Veganern passen, scheidet aber aus. Der typische Veganer ist kein Überzeugungstäter, sondern ein Normalo mit hippem Hobby. Das legt sich wieder. Meine weiteren Überlegungen zu diesem Thema gerieten enorm kompliziert und langwierig, nämlich in Richtung Risikoaversion, ausgelöst durch die postmoderne Komplikation und so weiter.

Mein Freund hingegen bezahlte unsere moderate Rechnung und sagte kopfschüttelnd zu mir: „Die können alle nicht mehr rechnen.“

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