1. Oktober 2018
Magazin

Unser täglich Brot …

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ERNÄHRUNG 

Unser täglich Brot …

Weltweit bekannt 

FOTO: JENKO ATAMAN_FOTOLIA.COM 
FOTO: JENKO ATAMAN_FOTOLIA.COM 
Geht es um die Anzahl an Brotsorten, dann dürfen sich die Deutschen als Weltmeister betrachten. Kein Land erzeugt mit solcher Inbrunst tausende verschiedene Brote zwischen Toast und Pumpernickel.

Beim Brot geht’s in Deutschland um die Wurst. Jeder kauft es, jeder isst es, jeder mag dieses, jenes aber auf keinen Fall. Und wenn der Deutsche im Ausland ist, dann geht ab Tag sieben die Klage los: Kein anständiges Brot! Selbst viele Zugewanderte beißen nach anfänglichem Kulturschock mit wachsender Begeisterung ins Roggenbrot.

Tatsächlich steht die deutsche Brotkultur seit 2014 neben den Pyramiden von Gizeh, der Chinesischen Mauer oder der Hagia Sophia auf der Liste der UNESCO. Dabei dürfte niemand auch nur annähernd wissen, wie viele Brotsorten in Deutschland gebacken werden. Jahrelang ging man von ca. 300 aus – heute sind es laut Branchenkennern eher um die 3.200. Weltrekord. Unangefochten.

Die deutsche Brotkultur steht auf der Liste der UNESCO und ist damit Weltkulturerbe …
Auch im Reformhaus Engelhardt wartet eine Auswahl hochwertiger Sauerteigbrote und anderer Backspezialitäten auf ernährungsbewusste Kunden FOTO: HELMUT SCHWALBACH  
Auch im Reformhaus Engelhardt wartet eine Auswahl hochwertiger Sauerteigbrote und anderer Backspezialitäten auf ernährungsbewusste Kunden FOTO: HELMUT SCHWALBACH  
Warum eigentlich? Andere, kulinarisch hochgradig ausdifferenzierte Länder (Frankreich, Spanien, Mexiko etc.) kommen mit einer Handvoll Brote aus.

Experten sehen drei Gründe für die deutsche Vielfalt. Erstens: Unterschiedliche Böden und klimatische Bedingungen haben unterschiedliche Getreide hervorgebracht. Während im Süden eher Weizen dominiert, sind es im Norden Roggen und auf der Schwäbischen Alb Dinkel.

Der Konsum in Deutschland ist bei aller Abwechslung übrigens vergleichsweise moderat: Während der Deutsche pro Jahr etwa 86 Kilogramm Brot verspeist, essen Polen und Russen um die 100 Kilo, Ägypter sogar bis zu 180 Kilogramm.

FOTO: PHOTOCREW_FOTOLIA.COM  
FOTO: PHOTOCREW_FOTOLIA.COM  
Zweitens: Die historische Kleinstaaterei mitsamt der Pflege lokalen Brauchtums. Jeder Kirchturm, so scheint es, hat eine eigenständige Kultur rund um die ansässige Backstube angezettelt. Teilweise haben einzelne Stadtviertel eigene Brotspezialitäten.

Drittens: Der Bäcker als Lehrberuf. Das mag für manchen neu sein, aber tatsächlich: In vielen Ländern wird man Bäcker nicht durch eine Lehre, sondern durch den Entschluss ab sofort Brot zu backen.

Die Tradition im Rücken kauft der Deutsche sein Brot ausschließlich bei handwerklich arbeitenden Bäckereien, die auf jegliche Zusatzstoffe verzichten und sich allein der Qualität verpflichtet sehen. Anders als Fleisch oder Wein darf Brot in Deutschland einen substantiellen Preis kosten. Der Verbraucher wird hier zum Genießer, der Güte erkennt …

Der Gesetzgeber erlaubt Bäckern über 300 Zusatzstoffe …  
Kleiner Scherz.

UNESCO-Liste und Bekenntnissen zum Trotz ist auch der Brotmarkt aufgeteilt zwischen einem großen Heer, für das es gar nicht billig und minderwertig genug sein kann, und einer kleinen Schicht von Käufern, die tatsächlich Qualität wünschen.

Des Deutschen liebstes Brot schwankt präzise zwischen hell und dunkel. Das Mischbrot vereint mehrere Mehlsorten zu einem schmackhaften Laib. FOTO: CONTRASTWERKSTATT_FOTOLIA.COM  
Des Deutschen liebstes Brot schwankt präzise zwischen hell und dunkel. Das Mischbrot vereint mehrere Mehlsorten zu einem schmackhaften Laib. 

FOTO: CONTRASTWERKSTATT_
FOTOLIA.COM  
Helle Weizenbrote sind Importe aus Ländern wie Frankreich oder Spanien und schmecken eher Kindern. Der schlechte Ruf des Weizens ist unbegründet. FOTO: KZENON_FOTOLIA.COM 
Helle Weizenbrote sind Importe aus Ländern wie Frankreich oder Spanien und schmecken eher Kindern. Der schlechte Ruf des Weizens ist unbegründet. 
FOTO: KZENON_FOTOLIA.COM 
Immer häufiger findet sich in Brotlaiben auch Dinkel. Diese alte Weizenart gilt als gesünder als andere Kornarten (nicht unbedingt begründet), bäckt aber trocken. FOTO: BUKHTA79_FOTOLIA.COM  
Immer häufiger findet sich in Brotlaiben auch Dinkel. Diese alte Weizenart gilt als gesünder als andere Kornarten (nicht unbedingt begründet), bäckt aber trocken. FOTO: BUKHTA79_FOTOLIA.COM  


Helle Brote mit markanter Kruste kommen ursprünglich aus Süddeutschland. Sie mischen Sauer- und Hefeteig und werden mitunter im Holzofen gebacken. FOTO: RAWPIXEL.COM_FOTOLIA.COM  
Helle Brote mit markanter Kruste kommen ursprünglich aus Süddeutschland. Sie mischen Sauer- und Hefeteig und werden mitunter im Holzofen gebacken. 

FOTO: RAWPIXEL.COM_

FOTOLIA.COM  
Speck, Zwiebeln, Oliven – all das findet sich in deutschen Broten. Die Tradition wird heute großzügig angereichert mit „artfremden“ Zutaten. FOTO: BUKHTA79_FOTOLIA.COM
Speck, Zwiebeln, Oliven – all das findet sich in deutschen Broten. Die Tradition wird heute großzügig angereichert mit „artfremden“ Zutaten. 

FOTO: BUKHTA79_FOTOLIA.COM
Vollkornbrote sind beliebt, nahrhaft, können für einen modernen Alltag aber auch zu viel des Guten sein. Ein Brot für Sportler und körperlich Arbeitende. FOTO: THOMAS VON STETTEN_FOTOLIA.COM 
Vollkornbrote sind beliebt, nahrhaft, können für einen modernen Alltag aber auch zu viel des Guten sein. Ein Brot für Sportler und körperlich Arbeitende. FOTO: THOMAS VON STETTEN_FOTOLIA.COM 

Wie viel Purismus akzeptiert der Kunde?  
„Wir haben Käufer an die Supermärkte verloren“, bestätigt etwa Sabine Möller von der Bäckerei Körner. Eine Klientel, der es vor allem um billig-billig-billig geht, könne man nicht bedienen. Qualität koste halt. Glücklicherweise wächst die Zahl derer, die das unterschreiben. Das Bäckersterben der vergangenen Jahre hat sich, zumindest in den Elbvororten umgekehrt. Zu Platzhirschen wie Körner und Hansen (beide Blankenese) gesellen sich Newcomer wie Effenberger und Gaues. Gerade die beiden Letzten wagen den Spagat zwischen bodenständigem Angebot (Beschränkung auf wenige Sorten) mit den Preisen einer Spezialitätenhandlung. Gleichzeitig haben Gaues und Effenberger eine Diskussion angestoßen: Was ist überhaupt eine echte Bäckerei? Sie ist kein „Back-Shop“, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Wer nachts tiefgefrorene „Backlinge“, also de facto Aufbackbrötchen in eine Filiale liefert, der rechnet klar mit „Verbrauchern“ und nicht mit Genießern. Aber auch Ketten wie Dat Backhus, Allwörden und Nur hier werden kritischer beäugt. Stichwort: Zusatzstoffe. Anders als bei einem anderen nationalen Kulturgut, dem Bier, erlaubt der Gesetzgeber Bäckern über 300 Zusatzstoffe, die Brot zugesetzt werden können. Sie werden nicht unbedingt einzeln verabreicht, sondern eher in der Form industriell angefertigter Backmischungen. Mithilfe solcher Mischungen lässt sich jedes gewünschte Brot erzeugen, jede erwünschte Eigenschaft: Festigkeit, Wasserspeicherung, dickere Kruste, dünnere Kruste, schnelleres Aufgehen des Teigs etc. Ziel ist eine jeden Tag gleichbleibende Qualität und ein schneller, störungsfreier Produktionsablauf in der Backstube. Was Backmischungen eher nicht erzeugen, ist ein besserer Geschmack. Branchenvertreter betonen zwar den Zugewinn an umfassender Qualität – allein, es stimmt nicht. Selbst ungeübte Zungen erkennen den Unterschied zwischen einem Brot von Thomas Effenberger und einem gleichartigen von Allwörden. Das Effenberger-Brot schmeckt ungleich tiefer, vielschichtiger. Es bleibt tagelang frisch und, ja, hin und wieder variiert der Geschmack in Nuancen. Auch die Sauerteigspezialitäten von Körner, Gaues und Hansen deklassieren die Brote der großen Ketten. Die Unterschiede sind so eklatant wie die zwischen Tütenwein und VDP-Riesling.

FOTO: KLAUS EPPELE_ FOTOLIA.COM  
FOTO: KLAUS EPPELE_ FOTOLIA.COM  
Der Verzicht auf Backmischungen bedeutet im Gegenzug mehr Arbeit und mehr Knowhow in der Backstube. Es ist ähnlich wie in einer Restaurantküche: Die Natur setzt Grenzen. Wer 100 Hauptgerichte auf der Speisekarte auflistet, der muss Tiefkühltruhe und Mikrowelle zur Hilfe nehmen. Traditionell-handwerklich arbeitende Bäckereien erkennt man, neben dem eindeutigen Geschmack der Produkte, daher vor allem an der Beschränkung. Produkte, die nicht vernünftig selbst erzeugt werden können, kaufen solche Bäckereien eher in guter Qualität von Kollegen.

Der Verzicht auf industrielle Hilfe hat auch einen wirtschaftlichen Grund: Backmischungen sind teuer. Eine mittelständige Bäckerei außerhalb der großen Ketten, kann sich ein Vollsortiment aus der Tüte kaum leisten. Der „neue“ alte Bäcker muss also täglich abwägen: großes Sortiment versus altes Handwerk. Wie viel Purismus akzeptiert der Kunde, ab wann rennt er zum Brotkauf in den Supermarkt? 

Sabine Möller in der Backstube der Bäckerei Körner: keine Chemie, keine Zusatzstoffe, viel Geschmack  
Sabine Möller in der Backstube der Bäckerei Körner: keine Chemie, keine Zusatzstoffe, viel Geschmack  
Barbara Großekatthöfer von der Bäckerei Hansen in Blankenese  
Barbara Großekatthöfer von der Bäckerei Hansen in Blankenese  

Landmüller in Blankenese verkauft hauptsächlich regionale Produkte  
Landmüller in Blankenese verkauft hauptsächlich regionale Produkte  
Effenberger-Verkaufsstand auf dem Markt. Das Sortiment ist eher klein, aber hochwertig  
Effenberger-Verkaufsstand auf dem Markt. Das Sortiment ist eher klein, aber hochwertig  
Ähnlich wie beim Bier wird der Trend zu besserem Brot weitergehen. Untrügliches Zeichen: Es gibt mittlerweile „Brot-Sommeliers“. Sie sehen meist aus wie Schanzen-Hipster und werden nicht jedem als lebenswichtige Neuerung erscheinen, zeigen aber: Gutes Brot zählt wieder etwas in Deutschland.  

Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de  

www.brotinstitut.de

Rindchen´s Weinkontor GmbH & Co. KG

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