2. Mai 2016
Magazin

Scholle, Butt und Hering

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ESSEN UND TRINKEN

Scholle, Butt und Hering

Fische, Restaurants und Geschäfte 

Fisch gilt als gesund. Fisch gibt es in jedem besseren Restaurant. Einst als Arme-Leute-Essen geschmäht, zählen heute Steinbutt und Dorade, Loup de Mer und selbst Matjes zur so begehrten wie kostspieligen Delikatesse.

Wer jemals auf einem Fischdampfer gearbeitet hat (der Autor dieses Textes hat es), der wird das sein Leben lang nicht vergessen. Ob Kutter oder Heckfänger, ob in der Barentssee oder auf Heringsfang in der Nordsee – im Vergleich dazu ist das spätere Zubereiten oder gar das im Restaurant zum Gast tragen von Wolfsbarsch oder Kabeljau an Senfsauce ein Sanatoriumsaufenthalt. Mal stehen die Fischer in klirrender Kälte, mal brennen Salz und Sonne tiefe Falten in die Haut.

An die harte Arbeit der Fischer denkt kaum ein Kunde. Weder im Fischgeschäft noch im Restaurant wird thematisiert, was geleistet werden muss, bevor der „Loup de mer in der Salzkruste“ oder auch „Matjes mit Hausfrauensauce“ auf dem Teller liegen. „Die Fischerei gehört sicherlich zu den härtesten Jobs“, sagt Andreas Patzer vom „Blankeneser Fischhuus“. Seinen
Kunden geht es meist um Rezepte, Saucen und Garzeiten.

Das „Blankeneser Fischhuus“ von Nathalie Gideon und Andreas Patzer erfüllt bei Flossen-, Schalen- und Krustentieren jeden Wunsch. Die Kunden nehmen angesichts ausgezeichneter Frische und Qualität jede Wartezeit in Kauf
Das „Blankeneser Fischhuus“ von Nathalie Gideon und Andreas Patzer erfüllt bei Flossen-, Schalen- und Krustentieren jeden Wunsch. Die Kunden nehmen angesichts ausgezeichneter Frische und Qualität jede Wartezeit in Kauf
Das Wissen über Fisch und Fischerei hält sich selbst in einem ursprünglich von Fischern wesentlich mitgeprägten Stadtteil wie Blankenese in Grenzen. „Viele Kunden denken, Fisch sei so frei verfügbar wie Spargel oder Tomaten“, so Patzer. Seine Lebensgefährtin und „Fischhuus“-Chefin Nathalie Gideon hat zugleich ein zunehmendes Interesse ihrer Kunden am Thema Fisch beobachtet. „Die Kunden sind gesundheitsbewusster geworden. Sie achten auf Frische und Qualität.“

Glücklich, wer heute noch einen in freier See gefangenen Steinbutt bekommt. Wobei die Preise für wildlebenden Fisch immer stärker angezogen haben. „Wildfang hat seinen Preis“, so Nathalie Gideon.

Wildfang hat seinen Preis

So werden Themen wie Aquakultur und Überfischung immer wichtiger. Denn kein Zweig der Ernährungsindustrie ist seit den 70er Jahren so schnell gewachsen wie die Aquakultur – mit jährlichen Zuwächsen von fünf bis sechs Prozent. 

Geschäfte wie das „Frischeparadies“ lassen beim Thema Fisch keinen Wunsch offen Fotos: Helmut Schwalbach 
Geschäfte wie das „Frischeparadies“ lassen beim Thema Fisch keinen Wunsch offen Fotos: Helmut Schwalbach 
Heute stammt fast jeder zweite Fisch, den wir essen, aus der Zucht. Doch kann die Zucht und Mast von Fischen und anderen Meerestieren das Problem der Überfischung lösen? In der Praxis ist die Umweltbilanz der Zucht oft katastrophal: In Südostasien verschwinden Mangrovenwälder, die Kinderstube vieler Fischarten, für immer mehr Shrimps- und Fischteiche. In Irland, Schottland, Chile oder Norwegen belasten Kot und Futterreste aus der Lachszucht die Küstengewässer. Die Tiere entkommen außerdem häufig, kreuzen sich mit Wildlachsen und bedrohen so den ursprünglichen Bestand. Andere, bisher wenig beachtete Probleme sind der Tierschutz und der Einsatz von Antibiotika im Futter. Bis zu vier Kilo Futterfisch braucht es, um etwa ein Kilo Lachs oder Kabeljau zu mästen. Noch höher liegt die Quote bei Thunfischen. 30 bis 40 Prozent der weltweiten Fänge werden inzwischen direkt für die Fütterung der Zuchtfische verbraucht.

Hummer muss heute nicht mehr lebend in kochendes Wasser geworfen werden. Das „High-Pressure“-Verfahren tötet ihn augenblicklich
Hummer muss heute nicht mehr lebend in kochendes Wasser geworfen werden. Das „High-Pressure“-Verfahren tötet ihn augenblicklich
Umweltverträgliche Ersatzstoffe füttern statt Fischmehl – das ist das Ziel der neuen ökologischen Aquakultur. So werden die Bestände von Futterfischen wie Sardellen oder Makrelen entlastet, denen große Trawler bereits mächtig zusetzen.

Der Markt für Zuchtfische wächst, weil Fisch beliebt ist und die Weltbevölkerung immer weiter anwächst. „Ohne Fischaufzucht in umweltverträglichen Aquakultursystemen wird der Bedarf nicht zu decken sein“, sagt Carsten Schulz von der Kieler Universität.

Wer beim Thema Fisch den Aspekten Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Gesundheit gerecht werden will, hat es schwer – vor allem als Gastronom. Denn Gäste erwarten ein breites Angebot, Artenschutz hin, Ökologie her.

Weniger produzieren, weniger verzehren?

Milenko Gavrilovic, unter anderem Chef im Restaurant „Marseille“, gehört zu jenen Gastgebern, die sich viele Gedanken über das Geschehen in der Küche sowie die Speisekarte machen. „Es gibt kaum noch einen Fisch, den man bedenkenlos essen kann“, sagt der Gastronom. Gleichzeitig gelte: „Möchte jemand einen Steinbutt, dann besorge ich ihn.“ Wer sich des Themas wie Gavrilovic „politisch-philosophisch“ annimmt, gerät in ein Dilmma. Denn wer ein Restaurant betreibt, muss immer auch kaufmännisch denken. „Es ist eine Riesenaufgabe, eine Balance zu finden – hier die Nachhaltigkeit, dort die Kulinarik“, so der sehr nachdenkliche Restaurant-Chef. Sein Ideal: weniger produzieren, weniger verzehren.

Schon der häufige Wunsch nach Filet wird dem Produkt Fisch nicht gerecht. Eine Alternative dazu ist für Kenner der im Salzmantel gegarte, ganze Fisch. Oder die Karkassen werden für einen Fischfond oder eine Bouillabaisse verarbeitet.

Üppig ist hier der Teller mit Schalen- und Krustentieren gefüllt
Üppig ist hier der Teller mit Schalen- und Krustentieren gefüllt
Zahlen belegen die dramatische Situation: Die Welternährungsorganisation (FAO) schätzt, dass weltweit 61,3 Prozent der Speisefischbestände bis an die Grenze genutzt und 28,8 Prozent überfischt oder erschöpft sind. Es wird mehr gefangen, als durch die natürliche Vermehrung nachwachsen kann. Der ökologische Schaden ist immens – nicht zuletzt auch durch massiven Beifang und zerstörerische Fangmethoden. Besonders streng beurteilt der Umweltschutzverband „Greenpeace“ die Situation rund um die Meeresbestände. „Wir haben nur wenige Jahrzehnte gebraucht, um mit unseren modernen Fangmethoden die globalen Fischbestände um bis zu 80 Prozent zu dezimieren. Die illegale Piratenfischerei tut ein Übriges“, liest der Interessierte im „Einkaufsratgeber Fisch“. Deshalb fordert „Greenpeace“ eine „transparente und nachhaltige Einkaufspolitik für Fisch und Meeresfrüchte in Industrie und Handel, ein nachhaltiges Fischereimanagement, großflächige Meeresschutzgebiete“.

Selten und bewusst solle Fisch überhaupt auf den Tisch kommen, so die Umweltschützer. Angesichts regelmäßiger, tatsächlicher oder auch inszenierter, Fleischskandale, wenden sich aber immer mehr Konsumenten dem Fisch zu. Oder Menschen auf dem Weg zum Vegetarismus werden zunächst mal zu Pescetariern.

Auch exotische Exemplare gibt es im Fischgeschäft
Auch exotische Exemplare gibt es im Fischgeschäft
Wie gern Gäste Fisch auf dem Teller sehen, zeigt sich bei einer Runde entlang der Großen Elbstraße. Ob bei „Hummer-Pedersen“, „Henssler & Hennsler“, im „Fischbeisl“ oder bei „Atlantic-Fisch“ – Fisch wird im Brötchen, als Sushi oder auch edel serviert wie etwa im „Fischereihafenrestaurant“ von Rüdiger Kowalke. Volkmar Preis, Chef im „Fischbeisl“, freut sich über sein gut gefülltes Lokal. Er innert sich noch an die 70er Jahre. „Seezunge Müllerin, Dorsch mit Senfsauce und gedünsteten Steinbutt gab es damals in den guten Restaurants wie „Sellmer“ in Eppendorf. Das galt einst als Top-Adresse für Fisch und Meeresfrüchte.

Heute findet der Gast Fischrestaurants in der ganzen Stadt. Die besten liegen übrigens entlang der Elbe.

Autor: helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de
Redaktionelle Mitarbeit: Louisa Heyder

Edeka Volker Klein

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