4. Mai 2015
Magazin

„Gebt mir zehn Jahre Zeit und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!“


8. MAI 1945 – 70 JAHRE KRIEGSENDE 

„Gebt mir zehn Jahre Zeit und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!“

Adolf Hitler zum Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933  
– von Ronald Holst –  

Der Zweite Weltkrieg in den Elbvororten  

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Bombenschäden im März 1943 in der Blankeneser Bahnhofstraße 
Am 3. März 1943 bombardierten 344 britische Bomber versehentlich Wedel und Umgebung. Der Angriff hätte eigentlich Hamburg gelten sollen.

Die Goldenen 1920er Jahre waren keineswegs glänzend. Beim Bürgertum saß die Schmach des verlorenen Weltkriegs beinahe tiefer als die Trauer um die fast zwei Millionen Kriegstoten.

Die Inflation von 1923 und der Schwarze Freitag von 1929 ließen breite Schichten verarmen. Die Zahl der Erwerbslosen wuchs bis Anfang der 1930er Jahre auf sechs Millionen. Reparationszahlungen drückten. Unruhen, Demonstrationen, Krawalle und politische Morde waren die Folge.

Auch an Blankenese ging die Entwicklung nicht spurlos vorüber. Die Zahl der Gäste sank dramatisch. Fünf Blankeneser Selbstständige – darunter drei Gastwirte – begingen Anfang der 1930er Jahre aus wirtschaftlichen Gründen Selbstmord. „Witwenallee“ nannten einige den Strandweg sarkastisch. Doch diese Todesfälle waren nur die Spitze des Eisbergs.

Immer mehr Bürger kamen zu der Überzeugung, eine Änderung der instabilen Weimarer Verhältnisse könnten nur radikale linke oder rechte Parteien schaffen. Eine große Zahl Blankeneser war deshalb „heil-froh“, als Hitler mit seiner NSDAP am 30. Januar 1933 an die Macht kam.

Die Nationalsozialisten boten bald viele neue Sozialleistungen und nahmen die „Volksgenossen“ damit für sich ein. Dazu gehörten u.a. geregelte Arbeits- und Ladenöffnungszeiten, geregelter Urlaub, höhere Löhne und Gehälter und Krankenversicherung für Rentner. Bis zum April 1945 vergaben sie immer neue „Geschenke“, um die „Volksgemeinschaft“ bei Laune zu halten. Und vom beschämend empfundenen Versailler Vertrag verabschiedete sich die neue Regierung mit einem Federstrich.

Am 11. März 1933 versammelten sich deshalb viele Blankeneser vor dem Standesamt – inzwischen Parteihaus – zum „feierlichen Bekenntnis zur deutschen Nation und ihren Symbolen“.

Erste Konzentrationslager für kommunistische Funktionäre wurden eingerichtet. Juden grenzte man mit immer neuen Schikanen aus. Politische Gegner wurden ihrer Ämter enthoben, so die Blankeneser Studienräte Dr. Mansfeldt 1933 und Prof. Zylmann 1936 wegen politischer Unzuverlässigkeit.

Überall wurde jetzt gebaut: Kasernenanlagen in Osdorf, Iserbrook und Rissen sowie das Luftgaukommando XI in der Manteuffelstraße. Hinzu kam das Zeugamt in Flottbek. Aber auch Wohnraum entstand z.B. am Landpflegeheim, bei der Kronprinzenund Langelohstraße. Auch rund um die Schule Schafgarbenkamp in Osdorf wuchs eine Siedlung.

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Mai 1945: Britische Soldaten haben ihr Hauptquartier bei Sagebiel eingerichtet
Die Arbeitslosigkeit nahm ständig ab. Auch, weil aus dem 100.000-Mann-Heer eine riesige Wehrpflichtigen-Armee geworden war, immer mehr Menschen in der neuen Rüstungsindustrie unterkamen und zusätzlich viele im Arbeitsdienst und anderen NS-Organisationen dienten.

Ab 1938 war Juden die Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben total verboten. Aus Blankenese wanderten 136 jüdische Bürger aus, 21 wurden später ermordet, 12 in den Selbstmord getrieben und von 37 Personen ist das Schicksal unbekannt.

Schon vor Kriegsausbruch wurden einige Lebensmittel rationiert. Ab September 1939 brachte man Flakbatterien, Fesselballons, Nebeltonnen und Scheinwerfer in Stellung, wurden Luftschutzbauten errichtet und Luftschutzübungen abgehalten. Und die Badeinseln in der Elbe baggerte man weg, um Start- und Landebahnen für Wasserflugzeuge zu gewinnen.

Im gleichen Sommer brachten Hans Leips Töchter eine Frankfurter Halbjüdin mit nach Hause (Süllbergs Terrasse). Man behauptete, sie sei Leips Nichte. Sie machte das Abitur in Blankenese und war anschließend am Pariser Rundfunk der Wehrmacht tätig. Dem späteren Künstler und Autor Volker Detlef Heydorn wurde das Abitur 1939 verweigert, weil er trotz mehrfacher Mahnung nicht in die HJ eingetreten war und die Tageszeit auch nicht mit Deutschem Gruß entbot. Erst 1942 – nach „Bewährung“ an der Ostfront – erteilte man ihm das Reifezeugnis.

Im Herbst 1940 fielen erste Bomben auf Blankenese. Die Fußgängerbrücke am Bahnhof wurde zerstört. Eine weitere Sprengbombe fiel im Herbst 1942 auf den Strandweg, tötete den Lotsen Meyer und verletzte Kapitän von Riegen. Im ersten Halbjahr 1943 zeichnete sich die Kriegswende ab: Die 6. Armee kapitulierte in Stalingrad. Die Ostfront musste weit zurückgenommen werden. Das Afrikakorps mit 250.000 deutschen und italienischen Soldaten ergab sich in Tunesien. Anschließend landeten die Alliierten in Italien. Und der U-Boot-Krieg im Nordatlantik brach zusammen.

Schneider Theodor Breckwoldt aus der Hauptstraße hatte in seinem Flur eine Weltkarte aufgehängt und markierte an ihr den deutschen Rückzug mit Stecknadeln. „Schau mal, wie klein Großdeutschland ist und wie groß dagegen unsere Gegner sind. Das kann nicht gut gehen, Jochen! Aber denk dran, dass du davon ja nichts in der Schule erzählst!“ Sohn Jochen überzeugte das Anschauungsmaterial und er hielt den Mund. Andernfalls wäre sein Vater im KZ gelandet.

Am 3. März 1943 bombardierten 344 britische Bomber versehentlich Wedel und Umgebung. Der Angriff hätte eigentlich Hamburg gelten sollen. Wedel wurde zu drei Vierteln zerstört. Aber auch in Rissen und Blankenese entstand erheblicher Schaden. Zahlreiche Tote waren zu beklagen.

Und die jüdischen Blankeneser, die nicht rechtzeitig fliehen konnten, wurden zum „Arbeitseinsatz“ Richtung Osten deportiert. Ende Juli begann die angloamerikanische Luftoffensive „Operation Gomorrha“, die große Teile Hamburgs vernichtete. 35.000 Todesopfer waren zu beklagen, 900.000 Menschen flohen aus der Stadt. Auch in Blankenese wurden viele mit dem Nötigsten versorgt, manch einer in Privathäusern einquartiert. Ausgebombte Gewerbetreibende wurden in schon genutzte Läden, Werkstätten und Büros eingewiesen.

Im Herbst 1944 wurde der Blankeneser Studienrat Dr. Nemetz denunziert, nachdem er einen Witz zu Lasten des Regimes erzählt hatte. Er kam ins KZ Neuengamme.

In „Krögers Hotel“ in der Hauptstraße war ein Arbeitskommando gefangener Badoglio- Italiener* untergebracht. Am Strandweg stand eine Baracke für sowjetische Gefangene, die bei Fliegeralarm Nebeltonnen bedienen mussten.

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1936 – Die SA marschiert durch die Blankeneser Hauptstraße
Die meisten Oberschüler waren ab 1944 als Flakhelfer eingezogen, so auch der spätere Schauspieler Heinz Lieven. Er gehörte zur Bedienung eines 10,5 cm Geschützes auf dem Altonaer Flugplatz. Die Jungen wurden dort zwar weiter unterrichtet, mussten bei Angriffen aber an die Geschütze. Dabei wurden immer wieder Kameraden verwundet oder auch getötet. Die Lehrer dagegen begaben sich während der Angriffe in die Bunker.

Jüngere Schüler waren zum SD (Schnelldienst) eingezogen, versammelten sich bei Alarm bei ihrer Spritze hinter dem „Deutschen Krug“ (Ecke Sülldorfer Kirchenweg/ Blankeneser Landstraße), um nach Angriffen Bombenopfer und Sachgüter zu retten, Flugblätter einzusammeln, vor allem aber um Brände zu löschen.

Ende 1944 bereitete sich das NS-Regime auf die Verteidigung des Reichs vor. Panzergräben wurden auch am Falkenstein ausgehoben. Eine vereinzelte Luftmine traf in dieser Zeit die Gorch-Fock-Schule, in der 400 zum Schanzen eingesetzte Hitlerjungen untergebracht waren. Gottlob hatten die Jungen dienstfrei, denn es war ein Sonntag. Sonst hätte es viele Tote gegeben. Obendrein wurde mit dem Bau von Schutzbunkern im Elbhang von Teufelsbrück bis Blankenese durch sowjetische Kriegsge – fangene begonnen. Wegen Materialmangels machten die Arbeiten aber kaum Fort – schritte.

Im Oktober 1944 wurde Aachen nach heftigen Kämpfen von amerikanischen Truppen besetzt. Gleichzeitig nahmen die Sowjets einen Vorstoß auf das ostpreußische Gol – dap vor. Ihr Angriff, der einem blutigen Rachefeldzug glich, wurde zunächst noch zurückgeworfen. Am 12. Januar 1945 jedoch begann die große sowjetische Offensive, in deren Verlauf Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien bis zur Oder-Neiße-Linie erobert wurden.

Im Herbst 1944 wurde der Blankeneser Studienrat Dr. Nemetz denunziert, nachdem er einen Witz zu Lasten des Regimes erzählt hatte. Er kam ins KZ Neuengamme. Im April 1945 wurden er und viele Mithäftlinge auf die in der Neustädter Bucht ankernde „Cap Arcona“ und „Thielbek“ verschleppt. Dort kam er bei der Versenkung der Schiffe durch britische Jagdbomber um.

Probst Schetelig brach im März 1945 beim Konfirmationsgottesdienst zusammen, als er in der Abkündigung den Tod seines Sohnes und seines Schwiegersohnes verlesen musste. Ein weiterer Sohn und ein Schwiegersohn waren vorher schon gefallen. Einige Konfirmanden waren beauftragt, während dieses Gottesdienstes Wehrmachtsberichte mit einem hinter dem Altar aufgestellten Volksempfänger abzuhören, um über den Vormarsch britischer Verbände durch die Heide, vor allem aber über möglichen Fliegeralarm informiert zu werden. Das war überlebenswichtig!

Karl-Heinz Seemann, Sohn des Bestatters und kaum 16-jähriger Lehrling im Kolonialwarenladen Ebeling, Hasenhöhe, wurde Ende März mit seiner HJ-Einheit nach Berlin verlegt, wo er bei Königs Wusterhausen fiel. Seine Mutter machte sich zeitlebens schwere Vorwürfe, ihrem Jungen den Gestellungsbefehl ausgehändigt zu haben.

Am 29. April schoss britische Artillerie von Süden über die Elbe auf den vor Blankenese ankernden Frachter „Elbing“, der daraufhin ablief und bei Wittenbergen auf Grund gesetzt wurde. Währenddessen mussten HJ-Jungen aus der NSParteizentrale im Gebäude der Commerz Bank, Bahnhofstraße, braune Literatur, Waffen und Uniformteile schubkarrenweise am Mühlenberger Ufer in der Elbe verschwinden lassen. Hier war kurz vorher eine betonierte Fährrampe für schweres Gerät (Panzer) entstanden, wie auch auf der Gegenseite bei Neuenfelde. Dies für den Fall, dass die Elbbrücken zerstört würden.

Von den 13.500 Einwohnern, die Anfang der 1930er Jahre in Blankenese wohnten, überlebten 650 den Krieg nicht.

Am 30. April beging Adolf Hitler in Berlin Selbstmord, als sowjetische Truppen bis zum Eingang des Führerbunkers vorgedrungen waren. Jetzt endlich hatte er akzeptiert: Der durch ihn vom Zaun gebrochene Zweite Weltkrieg war für das Deutsche Reich endgültig verloren. Es sollte trotzdem noch acht, respektive neun Tage dauern, bis die letzten Kampfhandlungen eingestellt wurden.

Britische Truppen besetzten Blankenese am 3. Mai 1945 und beschlagnahmten umgehend zahlreiche Villen, Gaststätten und das Kino für Offiziere und Angehörige ihrer Streitkräfte. Eine Schule für britische Kinder eröffnete im Hirschparkhaus, die Sergeantenmesse war im Weißen Haus an der Elbchaussee untergebracht und ein Armeebordell etablierte man in einer der Villen im Baurs Park.

Aus der Simrockstraße wurde bekannt, dass ein jüdisches Ehepaar mit Kind – unter dem Dach eines Hauses versteckt – die Shoa überlebt hatte. Von den etwa 13.500 Einwohnern, die Anfang der 1930er Jahre in Blankenese wohnten, überlebten 650 den Krieg nicht. 1945 waren es trotzdem mehr als 23.000 Menschen, die hier in drangvoller Enge hausten. Dabei waren die meisten in Gefangenschaft befindlichen Söhne, Brüder, Ehemänner und Väter noch gar nicht zurückgekehrt.

Neben vielen anderen Flüchtlingen kam eine Lisa Schuebbe mit ihren zwei Kindern in der Süllbergs Terrasse unter. 1947 kehrte auch ihr Mann Dr. med. Gustav Wilhelm Schuebbe aus amerikanischer Gefangenschaft heim. Er wurde entlassen, nachdem er als einer der 221 Kronzeugen im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess ausgesagt hatte. Dort gestand er – und das vorher schon in Interviews gegenüber den Magazinen „Time“ und „Life“ – dass er während der deutschen Besetzung von Kiew ein Institut geleitet habe, das innerhalb von 9 Monaten zwischen 110.000 bis 140.000 Juden, Kommunisten, Zigeuner, geistig und psychisch Kranke, in Nazidiktion „lebensunwertes Leben“, vernichtet habe. Er selbst spritzte während dieser Zeit eigenhändig 21.000 Menschen zu Tode. (Er muss also alle 10 Minuten einen Menschen ermordet haben!) Schuebbe behielt nach dem Krieg trotz seines monströsen Verbrechens die Approbation als Mediziner (sic) und betrieb bald eine Praxis in Hamburg. Das Paar bekam noch drei weitere Kinder.

1976 wurde das Ehepaar Schuebbe, man wohnte inzwischen in Bergedorf, vom psychisch kranken, erstgeborenen Sohn erschlagen, als der wieder einmal in die Anstalt musste.

* General Badoglio führte den ita – lienischen Widerstand auf alliierter Seite gegen das Deutsche Reich und das faschistische Rest-Italien von Mussolini.

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