30. Juni 2016
Magazin

Crossover – die kunstvolle Überwindung musikalischer Grenzen

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KOMENTAR

Crossover – die kunstvolle Überwindung musikalischer Grenzen

GASTKOLUMNE: Stilvolle Auseinandersetzung mit der Klassik

Stilistische Vielfalt, klangliche Sensibilität und herausragende Virtuosität kennzeichnen das Spiel der Pianistin Jasmin Böttger
Stilistische Vielfalt, klangliche Sensibilität und herausragende Virtuosität kennzeichnen das Spiel der Pianistin Jasmin Böttger
Noch immer gibt es Puristen, die bei jeder musikalischen Grenzüberschreitung das Dahinscheiden der Stilreinheit beklagen, unwissend, dass es diese so nie gegeben hat und auch nie geben wird.

Classic Meets Jazz’, hieß unsere erste Crossover-CD zum Thema ,Blue Mozart’, die ich zusammen mit Gottfried Böttger einspielte. Sie bescherte uns eine Fülle von Konzerteinladungen und den überaus positiven Zuspruch von Fans aus dem Klassik- wie auch dem Jazz-Lager. So positiv gestimmt konnten weitere Einspielungen zum Thema Beethoven und sogar zu Wagner folgen. Der Gefahr, in einem undefinierbaren Stilmix zu versinken und Fans aus beiden Lagern zu verprellen, begegneten wir mit einem einfachen Gestaltungsprinzip. Das von mir gespielte klassische Original blieb unangetastet, wurde bisweilen aber kurz unterbrochen oder um einige Wiederholungen gekürzt. Den Gegenpart übernahm der Jazzpianist, gleichermaßen, Note gegen Note’, als stilvolle Auseinandersetzung mit der Klassik. Mit diesem Schachzug ließen sich seinerzeit im Mozart- Jahr auch hartnäckige Mozart-Puristen überzeugen, wie es der Musikpsychologe Prof. Dr. Wilfried Ribke im Begleitheft zur CD ankündigte:

„Die Technik, ausgewählte Mozart-Kompositionen durch Jazz-Idiome gleichsam zu kontrapunktieren, bewirkt jene Symbiose, die den Hörer unmerklich gefangen nimmt und ihn immer wieder zu klanglichen und thematisch-linearen Grenzerkundungen zwischen Jazz- und Klassik-Kosmos zu führen vermag.“

Die Entscheidung darüber, was gelungen ist, fällt letztendlich immer das Publikum und die steigenden Verkaufs- und Besucherzahlen gaben uns recht. Bis heute ist dieser positive Trend ungebrochen. Klassik und Jazz miteinander zu verbinden heißt es auch im Jahr 2016, diesmal gemeinsam mit dem Jazz-Pianisten Günther Brackmann, mit dem wir „Eine pianistische Reise von Salzburg bis New Orleans“ präsentieren.

Aber wie gelingt die kunstvolle Grenzerkundung, wie vermeidet man triviale Überlappungen? Schauen wir auf Bernd Ruf. Er zählt derzeit zu den kreativsten Musikerpersönlichkeiten im Bereich Classical Crossover, entwickelte die Crossover Symphonies, spezielle Orchesterprogramme mit afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Musikern, mit Jazz- und Rockmusikern und ist seit 2004 Professor für Popularmusik, Jazz und Weltmusik an der Musikhochschule Lübeck. Die Kritik hebt stets sein außerordentliches Gespür für musikalische Zusammenhänge hervor, seine exzeptionellen Qualitäten im Vermitteln einer musikalischen Vision.

Grenzüberschreitungen und Stiladaptionen waren immer schon Bestandteil aller Musik- Genres.

Und genau darum geht es! Crossover meint den Dialog, braucht Empathie und die Fähigkeit, sich in mehreren Stilen zu Hause zu fühlen. Nur so gelingt es, die Jazz-Improvisationen für die Interpretation der Klassik zu nutzen.

Jede Klassik-Interpretation muss stets aufs Neue aktualisiert werden, alle Parameter müssen kreativ zu einem stimmigen Ganzen verknüpft werden. Crossover erfordert ein hohes Maß an Improvisation bei der musikalischen Gestaltung, als würde die Komposition im Moment des Erklingens erst neu erschaffen. Voraussetzung ist ein besonderes Gespür für das beabsichtigte Klangergebnis und ein sensibles Zusammenspiel, um das Aufgreifen von Impulsen und ihre Umsetzung zu bewältigen. So entsteht etwas Neues, Kulturen verbindendes, gepaart mit Respekt für die jeweilige Andersartigkeit.

Mittlerweile gibt es höchst gelungene Formationen des Classical Crossover, wie etwa die 1999 gegründeten, Klazz Brothers’. Mit einer gelungenen Kombination von Experimentierfreude und Innovation feiern sie weltweit Erfolge und erhalten namhafte Auszeichnungen wie den Echo Klassik und den Jazz Award. Es gelingt ihnen, Jazz mit klassischen Stilelementen anzureichern und dabei einen hohen künstlerischen Anspruch zu realisieren.

Grenzüberschreitungen und Stiladaptionen waren immer schon Bestandteil aller Musik- Genres. Bekanntestes Beispiel aus neuerer Zeit sind vor allem Mussorgskys Bilder einer Ausstellung à la Emerson Lake & Palmer.

Und was, bitte schön, wäre der Jazz ohne die Harmonik eines Debussys, die Popmusik ohne Anleihen bei der Spätromantik?

Die vielgepriesene Freiheit der Kunst kennt nur dort kein Crossover, wo das deutsche Urheberrecht Musik in E- und U-Musik trennt. Aber daran kann ja noch gearbeitet werden ...

Dr. Jasmin Böttger

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