31. März 2017
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Wir erleben eine demagogische Umprägung des politischen Wortschatzes

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DER HAUPTSTADTBRIEF

Wir erleben eine demagogische Umprägung des politischen Wortschatzes

Paradox, aber täglich zu beobachten: wie Wörter gerade dann zur Waffe werden, wenn sie keinen Sinn haben | Von Egon Flaig 

Die deutsche Öffentlichkeit wird von Politik und Medien mit einer Sprache konfrontiert, bei der Vokabeln wie rassistisch, fremdenfeindlich, populistisch oder menschenverachtend an der Tagesordnung sind. Das ist besorgniserregend; denn Andersdenkenden werden dabei nicht bloß den eigenen vergleichbare intellektuelle Qualitäten abgesprochen, es werden zudem moralische und psychische Defekte unterstellt. Mit politischer Korrektheit hat das schon lange nichts mehr zu tun, sondern wie auch in den USA, dem trendbildenden Ursprungsland der political correctness, wird das vorgeblich korrekte Wort zunehmend zur Waffe.   
Die deutsche Öffentlichkeit wird von Politik und Medien mit einer Sprache konfrontiert, bei der Vokabeln wie rassistisch, fremdenfeindlich, populistisch oder menschenverachtend an der Tagesordnung sind. Das ist besorgniserregend; denn Andersdenkenden werden dabei nicht bloß den eigenen vergleichbare intellektuelle Qualitäten abgesprochen, es werden zudem moralische und psychische Defekte unterstellt. Mit politischer Korrektheit hat das schon lange nichts mehr zu tun, sondern wie auch in den USA, dem trendbildenden Ursprungsland der political correctness, wird das vorgeblich korrekte Wort zunehmend zur Waffe.   
Im politischen Alltag einer Republik ist die Öffentlichkeit das Forum, auf dem sich kollektives Handeln und politische Programme zu rechtfertigen haben, und wo erörtert wird, was den Bürgern zumutbar ist. Diese Form der Öffentlichkeit bewahrt die institutionellen Kontrollen davor, sich zu entkräften. Wird sie aber beschädigt, dann ist der demokratische Gebrauch der verfassungsmäßigen Befugnisse nicht mehr zu garantieren. Die Öffentlichkeit hört auf, als Forum der Kontroverse zu fungieren, wenn die Regeln des Darlegens und Rechtsfertigens von Gründen zu häufig und folgenlos verletzt werden – nämlich durch Geschwätz, Lüge, Diffamierung und Einschüchterung.

Das Politische bedarf der Wahrheit – obschon die Politik oft glaubt, auch ohne sie auszukommen. Wahrheiten sind unangenehm, denn sie sind bezwingend, und sie grenzen die Spielräume des Handelns ein. Faktische Wahrheiten stellen den Bezug zur Wirklichkeit her – ohne diesen geriete das Handeln in einen Leerlauf inmitten einer Hyperrealität. Wir sind inzwischen Zeitzeugen dafür geworden, wie Diskurse im Handumdrehen Realität tilgen können.

Als die deutsche Regierung seit der Bankenrettung immer häufiger politische Optionen als „alternativlos“ zu bezeichnen begann, begab sie sich auf den Weg in die Un-Politik. Etwas, wozu es keine Alternative gibt, entzieht sich jedweder Beratschlagung. Und Alternativlosigkeit forciert ein Diskussionsverbot, welches fragwürdige politische Entscheide mit einem schützenden Tabu belegt – diejenigen, die die Entscheidung „alternativlos“ treffen, geben sich selbst damit die Erlaubnis, autokratisch regieren zu dürfen.

Als auch in den Medien die Bereitschaft zur Alternativlosigkeit unübersehbar zu werden begann – sei es zur Bankenrettung, sei es zur vermeintlichen Vereinbarkeit von islamischer Scharia und Grundgesetz –, setzte in Deutschland eine Umprägung des politischen Sprachgebrauchs und Wortschatzes ein. Wer in der Scharia eine Gefahr für die Demokratie sah und folglich einer weiteren muslimischen Zuwanderung skeptisch gegenüberstand, dem wurde bescheinigt, er sei befallen von „Fremdenangst“, von einer Phobie. Ein cleverer Trick: Eine politisch begründete Sorge wird zur grundlosen Angst gestempelt, zu einem pathologischen Phänomen, für das eigentlich die Psychiatrie zuständig ist. Man kennt das aus dem Umgang der ehemaligen Sowjetunion mit ihren Dissidenten.

Beinahe noch wirkungsvoller ist es, mit asymmetrischen Gegenbegriffen jede Diskussion zu ersticken. Der menschliche Geist funktioniert nach binären Strukturen: ja/nein, oben/unten und so weiter – und in Form von Gegenbegriffen: Freiheit/Unfreiheit, Recht/Unrecht und so weiter. Auf den Historiker Reinhart Koselleck geht die Erkenntnis zurück, dass solche Gegenbegriffe sowohl symmetrisch wie asymmetrisch sein können. Symmetrisch etwa wie in Freund/Feind oder Bürger/Nichtbürger. Hier ist das gegenseitige Ausschließen umkehrbar: Wer den anderen als Feind bezeichnet, ist für diesen Feind – wer den anderen als Nichtbürger bezeichnet, ist selber automatisch anderswo ein Nichtbürger. Das Verhältnis funktioniert vorwärts und rückwärts, keine der beiden Seiten geht a priori als begünstigte daraus hervor.

Ganz anders verhält es sich mit asymmetrischen Gegenbegriffen. Beispiel: Christ/Heide. Hier beziehen sich beide Begriffe nicht neutral aufeinander – denn hier werden Heil beziehungsweise Verdammnis unterstellt. Einer der beiden Begriffe (Christ) ist privilegiert, der andere (Heide) wird zum Synonym für den falschen Weg, für Verworfenheit, Rückständigkeit, Unmoral, Götzenanbetung – und Missionierungsbedarf. Derlei asymmetrische Gegenbegriffe wirken dreifach: Sie spalten in „wir“ und „die“, sie sprechen der anderen Seite moralische oder intellektuelle Qualitäten ab, und sie grenzen aus, indem sie der anderen Seite das Recht absprechen, gleichberechtigt auf geteiltem, gemeinsamen kulturellen Boden – auf demselben öffentlichen Forum – zu agieren.

„Wir sind inzwischen Zeitzeugen dafür geworden, wie Diskurse Realität im Handumdrehen tilgen können.“  
Die deutsche Öffentlichkeit hat sich gewöhnt an eine Sprache in den Medien, bei der Vokabeln wie rassistisch, fremdenfeindlich, populistisch, Hass und Neid, menschenverachtend und engherzig, Abschottung, völkisch und dumpf, angstbesessen und Ängste schürend an der Tagesordnung sind. Meist kommen sie mit Gegenbegriffen daher wie weltoffen und vorurteilsfrei, Herausforderungen gewachsen und mitmenschlich, Weltgemeinschaft und Hilfsbereitschaft. Wer etwa auf die Einhaltung von Recht und Gesetz pocht, gilt als „engherzig“, es fehlt ihm die „Mitmenschlichkeit“. Wer die Verfassungsmäßigkeit des Regierungshandelns einklagt, argumentiert „nationalistisch“. Wer auf einer Kontrolle an den Grenzen besteht, betreibt zumindest „Abschottung“, häufig zusammen mit „Rassismus“ und „Überfremdungsangst“.

Andersdenkenden werden auf diese Weise nicht bloß den eigenen gleichrangige intellektuelle Qualitäten abgesprochen, sondern zudem moralische ebenso wie psychische Defekte angelastet. Dieser demagogische Wortgebrauch besteht aus „Blindbegriffen“, wie Reinhart Koselleck jene Gegenbegriffe nannte, die nichts bezeichnen, was sich definieren ließe. Das Wort Abschottung etwa bezeichnet eine dichte Abschließung nach außen. Überträgt man dieses Wort auf die Beziehungen zwischen Kulturen auf dem Globus, dann wird es zu einer Metapher – freilich zu einer, die aufhört, eine konkrete Realität zu bezeichnen: Es gibt keine Abschottung in einer Welt, in der täglich Waren und Kapital in riesigen Mengen rundherum transferiert und transportiert, in der gigantische Quantitäten von Daten blitzschnell um den Planeten geschickt werden und Millionen Menschen von einem Land in ein anderes, von einem Kontinent zu einem anderen reisen. Offensichtlich bezeichnet ein Wort wie Abschottung also etwas, das mit dem semantischen Gehalt des Wortes nichts mehr zu tun hat – es wird zur Floskel, in appellierender, mobilisierender und diffamierender Absicht.

Ähnlich verhält es sich mit dem Wort fremdenfeindlich – das allerdings einen gewissen Sonderstatus einnimmt. Es findet zum einen Anwendung auf Menschen, von denen viele fremde Sprachen sprechen, in fremde Länder reisen, sich für fremde Kulturen interessieren und gern fremdländische Küche genießen – die allerdings der Ansicht sind, ihr eigenes Land solle nur eine begrenzte Anzahl von fremden Zuwanderern aufnehmen. Auch Menschen, die Fremden in der eigenen Stadt freundlich entgegenkommen und ihnen hilfsbereit die Wege weisen, fallen unter das Verdikt der Fremdenfeindlichkeit, sobald sie weitere Zuwanderung für problematisch und ein weiteres Anwachsen von Parallelgesellschaften für nicht wünschenswert halten. Als fremdenfeindlich gilt, wer einerseits die Zuwanderung von Menschen aus Ostasien begrüßt, weil sie häufig leistungsorientiert sind und Gesellschaft und Wirtschaft bereichern können, andererseits aber den Zuzug solcher Migranten missbilligt, deren Bereitschaft zu schulischer, kultureller und politischer Integration nachweislich niedrig bis negativ ist. Kurz: Die Floskel „fremdenfeindlich“ richtet sich häufig gegen Menschen, die fremdenfreundlich sind – es bezeichnet mithin das Gegenteil dessen, was es aussagt.

Das ist kein Zufall. Derlei sinnentleerte Wortfloskeln wirken gerade dann, wenn es auf die Semantik nicht mehr ankommt – sie fungieren als verbale Signale, die ein ganzes Set von Vorstellungen beim Adressaten abrufen. Indem eine solche Floskel ihren Wortsinn negiert, bietet sie dem Denken keinen konkreten Anhalt – stattdessen zielt sie auf den Reflex, den ein Mix aus Vorstellungen und Assoziationen auslöst. Die Medien benutzen heute diese asymmetrischen Gegenbegriffe in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Die politische Elite steht ihnen darin in nichts nach – und Teile der unversitären Elite beginnen dem Trend zu folgen.

Das ist kein belangloser Vorgang. Der unentwegte und unwidersprochene Gebrauch von Wortfloskeln als verbale Signale und die gezielte Verwendung von asymmetrischen Gegenbegriffen in der medialen und politischen Öffentlichkeit gefährden nicht nur eben jene Öffentlichkeit als Forum der demokratischen Kontroverse, sie haben auch das Zeug dazu, sie zu zerstören. Denn Worte sind Fensterscheiben des Intellekts – wenn sie verschmutzen, wird es dunkel im Hause des Geistes.

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