2. November 2015
Magazin

Wenn der Herbst den Sommer ablöst

<div general-layout-selector="#html_structura_area_v2

KOMMENTAR 

Wenn der Herbst den Sommer ablöst

GASTKOLUMNE: Jahreszeiten

Gisela Reiners, Journalistin und Autorin (u.a. „Welt“ und „Welt am Sonntag“), hat sich über einen bemerkenswerten Monat und die dazugehörende Jahreszeit Gedanken gemacht – November und Herbst.

Gisela Reiners
Gisela Reiners
Nun ist er da, der November. Viele fürchten ihn, dabei hat er doch so viele positive Facetten! Jetzt können wir uns hemmungslos dem gleichnamigen Blues hingeben, ohne dass die Mitmenschen daran herummäkeln könnten. Es ist ein bisschen wie Schwangerschaft – da darf man auch schlechter Laune sein, müde und matt und stets hungrig, nicht unbedingt auf saure Gurken. Niemand wird eine Schwangere tadeln, wenn sie mürrisch wird, und ebenso kann niemand einen anranzen, weil man so trübsinnig herumsitzt und miese Stimmung verbreitet. Es ist schließlich November. Es ist kalt, grau, nass und überhaupt. Da hat man doch wirklich ein Recht auf sein Depressiönchen.

Dabei können wir doch nun so manchen Modelaunen frönen. In den Elbvororten streifen jetzt Männlein wie Weiblein endlich ihre federleichten Echtdaunen-Jacken über, mit denen man auch den Polarwinter durchstehen könnte. Als sie nagelneu im sonnigen September getragen wurden, gab es noch manchen schrägen Blick. Auch die neuesten Ugg-Boots können spazierengetragen werden, mit Leoparden-Druck oder Glitzerpailletten. Echt cool war es ja, die Lammfell-Puschen zu Shorts im Sommer zu tragen – aber das haben doch nur die ganz jungen Dinger gemacht. Jetzt sind sie in lila Leder angesagt und mit Mustern aus glitzernden Swarovski-Kristallen auf Schwarz. Passt immer.

Im römischen Kalender war der November der neunte Monat. Von der lateinischen Zahl novem für neun stammt sein Name. Der gregorianische Kalender hat ihn übernommen. Karl der Große gab ihm im 8. Jahrhundert den Namen Windmond, klingt auch hübsch, ebenso wie Nebelung oder Dritter Herbstmond. Das waren im deutschen Sprachraum geläufige Namen. Schlachtemond nannten ihn die praktischen Niederländer, Zeit fürs Schweineschlachten, für gutes und viel Essen und sicher auch für den einen oder anderen Schnaps. Den gönnt man sich auch gern einfach mal nur so gegen die Melancholie, die der November mit seinen ganzen Besinnungs- und Gedenktagen so mit sich bringt: Allerheiligen, Buß- und Bettag, Volkstrauertag und am Ende der Totensonntag. Da muss man sich doch mal einen Jubi, Fernet, Single Malt oder – wieder modern – einen Cognac genehmigen, um sich aufzumuntern.

Bei sinkenden Temperaturen kann man sich auch in riesige Schals wickeln, die so aussehen, als trage man einen oder mehrere Michelin-Reifen um den Hals. Wurde ja schon im Sommer gern gemacht, allerdings mit Tüchern aus leichtem Stoff, aber von endloser Länge. Jetzt muss es Grobstrick sein, passend zu den dicken Rollkragenpullovern, in denen man sofort schmort, wenn man einen normal beheizten Raum betritt. Hauptsache, man liegt im Trend. 

„„Männer übrigens können dem November viel Positives abgewinnen. Sie dürfen so richtig schön leiden, wenn die Nase läuft oder der Hals kratzt.“

Noch einmal zum guten Essen. Was man aber im November nicht mehr muss: Eine Bikini-Figur vorweisen. Nicht einmal die dösigste Frauenzeitschrift würde jetzt mit Diät-Tipps kommen nach der Melodie „Wie Sie in drei Tagen die perfekte Figur für den Strandurlaub erlangen.“ Wäre ja auch doof, wenn man sich die Dominosteine, Spekulatien und Marzipankartoffeln versagen müsste, die ja frisch am besten schmecken.

Wir können uns im November auch ohne schlechtes Gewissen dem Draußen-Sein verweigern. Weder ist es schön warm noch scheint die Sonne so schön. Wir können jeden Abend ins gut geheizte Kino gehen und müssen nicht erklären, warum wir nicht mit zur Strandperle oder in den Beach-Club kommen wollen. Auch die beschwerlichen Radtouren werden seltener, die von Blankenese aus ja meist mit der Anstrengung verbunden sind, das Gerät den Berg hochzuwuchten, egal ob zu Beginn oder am Ende des Ausflugs.

Männer übrigens können dem November viel Positives abgewinnen. Sie dürfen so richtig schön leiden, wenn die Nase läuft oder der Hals kratzt. Schließlich sind sie sterbenskrank und haben ein Recht auf Mitleid, vor allem in diesem garstigen Monat.

Und sie dürfen sich kleidungsmäßig jede Extravaganz gönnen, vom abgeschrabbelten, aber wärmenden Wollmantel aus der hintersten Schrankecke, über drei alte Pullover gezogen, bis zu den bescheuertsten Mützen. Gern genommen wird offenbar die Pudelmütze, tief über die Ohren gestreckt und mit dem Bommel nach vorn gekippt. Wenn alles nicht reicht, muss man sich sagen, dass nach Totensonntag die Weihnachtszeit beginnt. Die ist, wenn wir ehrlich sind, gar nicht so schlecht wie uns die Muffel glauben machen wollen. Und außerdem: Ist der November überstanden, ist nach nur 22 Tagen Wintersonnenwende. Das heißt, die Tage werden länger und der Frühling steht vor der Tür.

Gisela Reiners

Zur Ritze

Auch interessant