1. November 2016
Magazin

„Was schmeckt, was nicht?“

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INTERVIEW DES MONATS 

„Was schmeckt, was nicht?“

Sagen Sie mal …
… Gerd Rindchen, Weinhändler

Seit 1983 betreibt Gerd Rindchen unter dem Namen „Rindchens Weinkontor“ derzeit 13 Filialen vorwiegend in und um Hamburg. Ein Gespräch über Weintrinken in Deutschland, über Genuss und Preis.

„Man muss nur ehrlich zu sich selbst sein.“
„Man muss nur ehrlich zu sich selbst sein.“
Herr Rindchen, kann Wein nerven?

Natürlich. Am meisten nerven die Pseudokenner. Für mich ist Wein ein Thema, das hat mit Sinnlichkeit zu tun, aber keinesfalls mit Ausgrenzung. Es gibt aber Menschen, die wollen sich mit Weinwissen über andere erheben.

Wobei nicht alles Hokuspokus ist. Die berüchtigten Obstnoten zum Beispiel kommen in Wein vor, das wurde von Lebensmittelchemikern einwandfrei festgestellt. Trotzdem macht das Kosten solcher Nuancen viele Menschen regelrecht aggressiv. Warum?

Sie befürchten, dumm dazustehen, und das mag keiner gerne. Ich erlebe auch häufig, dass Freunde mich über Wein ausfragen und dann fast erwarten, ich würde nun die Neunschwänzige Katze zücken und sie ob ihrer Unwissenheit geißeln. Ich vergleiche das dann gerne mit dem Autohändler. Da sucht man sich Polster aus, die einem gefallen, eine Lackierung, eine Maschine, aber niemand erwartet, dass man die auseinandernehmen könnte. Von Weinen denken alle, müsste man Ahnung haben. Was für ein Blödsinn! Man muss nur ehrlich zu sich selbst sein. „Was schmeckt mir, was nicht?“ und das entsprechend kundtun.

Nun ist die Genussbereitschaft nicht mehr ungetrübt. Der „Zeit“-Gastrokritiker Wolfram Siebeck sagte 2008: „Ich trinke jeden Tag eine Flasche Wein zum Essen, und diese Zurückhaltung übe ich erst wenige Jahre.“ Heute undenkbar …

Also, wenn ich mir ausrechne, was ich über die letzten 30 Jahre … Das müssen Sie ja nicht unbedingt schreiben! (Zwei Sätze gestrichen).

Und das in Zeiten von Fitnesswahn und Risikominimierung! Befinden wir uns nicht in einem ungünstigen Umfeld für Weinverkauf?

Es ist ambivalent. Der deutsche Weinkonsum war letztes Jahr leicht rückläufig. Bisher haben die Konsumenten das durch etwas höhere Ausgaben pro Flasche ausgeglichen, aber dieser Trend ist nun auch zum Erliegen gekommen. Wein ist unter den alkoholischen Getränken aber sicherlich das am positivsten besetzte. Er wird noch am ehesten mit Kultur assoziiert.

„Es ist fast unmöglich, eine Flasche Wein für mehr als 30 Euro zu produzieren.“
„Es ist fast unmöglich, eine Flasche Wein für mehr als 30 Euro zu produzieren.“
Vielleicht entwickelt sich der Deutsche auch daher vom Bier- zum Weintrinker.

Und das hat uns in den letzten Jahren immer gerettet. Generell ist der Alkoholkonsum in den letzten Jahren in Deutschland gesunken, aber vor allem zu Lasten von billigen Schnäpsen und Bier. Der Weinmarkt ist ein reifer Markt, ohne nennenswertes Wachstumspotenzial. Außerdem schlägt jetzt die alternde Bevölkerung durch. Alte Menschen trinken nicht mehr so viel. Siebeck lag früher wohl eher bei drei bis vier Flaschen pro Tag.

Würde ich nicht ausschließen.

Und die Jüngeren, die nachwachsen, kommen ja erst ab etwa 30 zum Wein. Das heißt, tendenziell sinkt die Zahl der Weinkonsumenten. Umso wichtiger ist es, diesen nachwachsenden Rohstoff einzufangen. (Lacht wie ein Filmbösewicht.)

Sprechen wir über die Kosten des Genusses. Wird die Ernte schlecht, dann erhöhen die Winzer ihre Preis. Wird sie im nächsten Jahr gut, steigt der Preis trotzdem. Unfair?

Nein, der Markt für Fasswein ist hoch volatil. Bis vor zwei, drei Jahren haben die großen Handelskellereien die Basisplörre in großem Stil gekauft. Dadurch wurde der Wein knapp. In den Supermärkten verloren die deutschen Weine gegenüber den ausländischen Regalfläche, eben weil sie teurer wurden.

„Keine gewachsene Genusstradition …“

Durch das Russlandembargo ist nun der größte Markt für die allerbilligsten Weine weggebrochen. Dazu kommen drastisch sinkende Verkäufe für Einstiegsqualitäten in England. Durch diese Faktoren ist der Fassweinmarkt in Unordnung geraten. Die Fasspreise für den genialen Jahrgang 2015 hatten sich zwischenzeitlich sich im Vergleich zu 2014 – der mittelmäßig war – halbiert. Wir haben unseren Winzern aber die gleichen Preise wie im Vorjahr bezahlt – für meist bessere Qualitäten.

Bäckerei Hartmut Körner e.K.
Brechen wir das runter: Der Deutsche kauft seinen Wein mehrheitlich im Discounter und bezahlt im Mittel 2,84 Euro pro Flasche. Dabei hat er, ebenfalls im Durchschnitt, das Geld für bessere Qualitäten.

In den meisten Regionen Deutschlands haben wir eben keine gewachsene Genusstradition. In Italien kann man im hinterletzten Bergdorf in die Trattoria gehen und die Chance, dass es schmeckt, liegt bei 80 Prozent. Wenn man aber in Niedersachsen in den Landgasthof geht … Zum anderen sind die Leute, die Geld für guten Wein haben, privilegiert. Wenn jemand alleine verdient, zwei Kinder hat, dann wird es schwierig. Ein Großteil der Menschen ist einfach nicht bereit von ihrem verfügbaren Nettoeinkommen einen großen Teil für Wein abzuzweigen. Und ich kann das verstehen. Daher gibt es bei uns immer eine gute Flasche Wein für 3,95 Euro. Die kann sich dann fast jeder leisten.

Gut? Für 3,95?

Dafür bekommt man bei uns einen anständigen Sauvignon Blanc oder einen Tempranillo aus Spanien.

Okay, die Spanier mit ihren Riesenweingütern, da könnte das wirklich klappen.

Ja, das geht und das ist wichtig. Auch Leute mit geringerem Einkommen sollten sich in unsere Läden trauen. Die nehmen wir genauso ernst wie andere.

Wobei wir letztlich eine Klientel haben, wie andere Weinhändler auch: überdurchschnittlich alt, überdurchschnittlich gebildet, überdurchschnittliches Einkommen.

Kommen wir zu den „Schweineweinen“ – Weine, die man zum 70. öffnet oder zur Silberhochzeit. Kurioses Segment, oder? Man zahlt für eine Flasche einen aberwitzigen Preis, aber der basiert nicht auf Qualität, sondern auf Knappheit.

Das ist so. Ein Chateau Petrus kostet 2.000 Euro. Es ist aber – bei aller Liebe – fast unmöglich eine Flasche Wein für mehr als 30 Euro zu produzieren.

Dann ist Enttäuschung programmiert. Wenn jemand eine 300-Euro-Flasche tatsächlich trinkt und sie schmeckt nach 30 Euro …

Na ja, es gibt schon tolle Weine in dem Segment. Ich denke da an Burgunder, die ich liebe, aber nicht verkaufen kann. Ein großer Kummer ist das! Wir sind im Spitzensegment eigentlich gut besetzt, aber die Leute nehmen uns eher als günstigen Händler wahr. Viele Kunden kaufen ihre Alltagsweine bei uns und wenn sie dann mal dick auf die Tonne hauen wollen, gehen sie zu Mövenpick.

Rindchens Weinkontor hat heute 13 Filialen und über 100 Mitarbeiter. Sie selbst sind seit 39 Jahren Weinhändler. Haben Sie eigentlich eine Ausbildung in der Richtung gemacht?

Nein, ich bin gelernter Versicherungskaufmann.

Oha. Und da blieb dann nur der Wein als Ausweg?

Nein, Wein habe ich schon direkt nach dem Abitur verkauft. Ich hatte einen VW-Bus, habe den beim Winzer beladen und die Flaschen dann in Bremerhaven an Freunde meiner Eltern verkauft. Ab 1979 habe ich mit meinem Cousin Gustav in meinem 47-PS-Bus an den Wochenenden Wein aus Frankreich importiert. Also Freitag nachmittags los, in der Nacht auf Montag zurück. Einer fuhr, einer schlief. In Hamburg eine kalte Dusche und dann hochmotiviert in den Betrieb oder in die Berufsschule. Startkapital waren 3.500 DM von meinem Vater für den VW-Bus.

Die haben Sie mittlerweile abgestottert?

Nein, nie zurückgezahlt. Das hat er bis zu seinem Tod gern scherzhaft erwähnt.

Herr Rindchen, vielen Dank für das Gespräch.

Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de   

www.rindchen.de

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