1. Juni 2018
Magazin

„Unheimliche Parallelen“

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INTERVIEW DES MONATS 

„Unheimliche Parallelen“

Sagen Sie mal …
… Dietrich Kuhlbrodt, Jurist, Autor und Schauspieler

Offenherzig, schlagfertig, amüsant – der KLÖNSCHNACK traf auf einen ungewöhnlich aufgerräumten Gesprächspartner. Die NS-Zeit, Theater, Kino und Kunst sind Themen, in denen der ehemalige Staatsanwalt zu Hause ist.

Es ist ein Abenteuer, egal, ob es scheiße oder gut ausgeht.“
Es ist ein Abenteuer, egal, ob es scheiße oder gut ausgeht.“
Herr Kuhlbrodt, Sie schreiben in der „Konkret“, die „Taz“ hat sie gewürdigt. Daraus könnte ich den Schluss ziehen, Sie seien ein Altlinker.

Ja. Ich bin ja ein Alt-68er. Obwohl ich es mit links und rechts heute nicht mehr so habe.

Für einen 68er sind Sie mit 85 Jahren fast schon wieder zu alt …

Damals, als junger Staatsanwalt, fand ich es richtig und sympathisch, mit der NS-Vergangenheit aufzuräumen. Ich habe damals große Anklagen geschrieben, unter anderem gegen einen damals amtierenden stellvertretenden Senator.

Ein Höhepunkt Ihrer Karriere als Staatsanwalt?

Nein. Es war eine einzige Niederlage, weil ich mit dieser Anklageschrift scheiterte. Andererseits war ich interessanter Gesprächspartner bei der zeitgeschichtlichen Forschung. Für andere galt ich als Nestbeschmutzer. Denn viele der alten Leute aus der NS-Zeit waren wieder in Amt und Würden. Diese Sache verfolgt mich bis heute noch.

Weil Sie manches heute noch als Niederlage empfinden?

Ich erinnere mich an einen Fall von zwei prominenten Hamburgern, angeklagt wegen Massenmords. Die Anklage wurde angenommen, doch das Verfahren dann eingestellt.

Später stellte sich heraus, dass der Sachverständige ein Bekannter eines Angeklagten war. Das ging mir damals mächtig auf den Sack. Eine der Anklageschriften ist jetzt ein Museumsstück. Sie wird unter Glas bei Ausstellungen gezeigt. Dokumente und Bilder sind rückblickend gesehen oft besser und nachhaltig.

Wie erleben Sie die heutige, politische Situation vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen von damals?

Manches kommt mir vor wie eine historische Wiederholung. Ich bin 1932, vor der Machtergreifung, geboren worden. Da war die NSDAP bereits in der bürgerlichen Mitte angekommen. Bei einem anderen Aspekt muss ich ein wenig ausholen: Meine Großeltern mütterlicherseits waren Flüchtlinge aus Ostpreußen, nahe der litauischen Grenze. Sie wurden in Schleswig-Holstein von der Landbevölkerung ganz schlecht behandelt. So sind mir auch beim Thema Flüchtlinge gewisse Parallelen zu heute ein bisschen unheimlich.

Bäckerei Hartmut Körner e.K.

Wie wurden Sie hier in Blankenese, mit seinem ausgeprägten Lokalpartiotismus, aufgenommen, als Sie Anfang der 80er Jahre, von Sülldorf kommend, zuzogen?

Es gibt keine bösen Nachbarn hier, das ist das Gute.

„Meine Großeltern sind in Schleswig-Holstein als Flüchtlinge ganz schlecht behandelt worden.“

Man hat Sie als Oberstaatsanwalt auch im Blankeneser Amtsgericht erleben können.

Das war in der Behörde damals so üblich. Man schrieb Anklageschriften und wurde zu Sitzungen in Strafverfahren eingeteilt.

Schon früh entwickelten Sie eine Liebe zu Film und Theater.

Das war und ist eine wunderbare Vielfalt, die ich bis heute pflege. Neben dem Theater und Film nehme ich übrigens auch Oparechte und -pflichten wahr.

Der Hausherr ist auch zu Späßen bereit, wenn er nicht vor einer Kamera steht
Der Hausherr ist auch zu Späßen bereit, wenn er nicht vor einer Kamera steht
Was waren Ihre ersten Theatererlebnisse?

Ab Klasse zehn war ich ein begeisterter Theaterbesucher. Ich sah die Stücke mit Gustav Gründgens. Sah Faust und Stücke von Schiller. Einige der Texte kann ich heute noch rezitieren.

Man sieht Sie gelegentlich mit jungen Leuten, sportlich gekleidet, in intensive Gespräche vertieft. Ist das eine Art Lebenselixier?

Jungschauspieler laden mich gerne ein. Seit der Jugend ist es ein Prinzip von mir: Ich mache mit. Es ist ein Abenteuer, egal ob es scheiße oder gut ausgeht. Ich benutze den Spaß, den junge Leute mit mir haben wollen, denn es macht auch mir Spaß.

Topmodische Turnschuhe, ohne Schnürsenkel getragen, sieht man bei einem 85-Jährigen eher selten.

Das ist absolut praktisch, bücken als 85-jähriger Mann? Das kommt gar nicht infrage.

Nach 50 Jahren Ehe ist vor einigen Jahren Ihre Frau gestorben. Wie werden Sie mit der Situation fertig?

Anfangs konnte ich überhaupt nicht darüber reden. Für mich ist meine Frau immer noch präsent. Ich sehe sie auch nicht in der Erde liegen. An ihrem Platz im Haus habe ich überhaupt nichts verändert. Mit ihren Pflegerinnen bin ich jetzt immer noch befreundet. Ich kann inzwischen zwar lange alleine sein, bin aber froh, wenn ich Besuch bekomme von Leuten, mit denen ich dann arbeite.

„Ich trug geniale Obdachlosenkleidung. Aus Testgründen ging ich so zur S-Bahn.

Lassen Sie uns das Gespräch optimistisch beenden. Kürzlich haben Sie einen Obdachlosen gespielt und hatten auf dem Nachhauseweg ein lustiges Erlebnis.

Es war in St. Georg, am Brunnenplatz. Es ging um Filmaufnahmen für einen Film, der im Herbst zu sehen sein wird.

Ich trug Sachen aus den 50er Jahren, geniale Obdachlosenkleidung. Aus Testgründen ging ich so zur S-Bahn. Da wurde mir unaufgefordert ein Euro zugesteckt. Im ersten Moment war ich sprachlos.

Herr Kuhlbrodt, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch.


Gespräch: helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de

www.kloenschnack.de

Hamburger Konservatorium

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