1. Dezember 2017
Magazin

„Natur zum Niederknien“

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INTERVIEW DES MONATS 

„Natur zum Niederknien“

Sagen Sie mal …
… Jost Deitmar, Hoteldirektor im Wartestand „Natur zum Niederknien“

Was macht eigentlich Jost Deitmar? Diese Frage beschäftigt die Menschen nach wie vor. Der ehemalige Hoteldirektor im Louis C. Jacob traf den KLÖNSCHNACK im Café Paris.

Herr Deitmar, wie war Ihre erste Reaktion als Sie erfuhren, dass Ihr Vertrag mit dem Hotel Louis C. Jacob gekündigt wird?

Ich hatte angenommen, dass ich – wahrscheinlich mit 80 – im Jacob meine Rente einreichen würde. Entsprechend groß war der Schock.

Wie lange dauerte dieser Schock nach der Kündigung?

Die Entscheidung habe ich bis heute nicht akzeptiert, ich habe aber inzwischen Abstand gewonnen. Gottlob bin ich mental stabil und nicht in ein tiefes Loch gefallen. Dazu haben neben Familie und Freunden auch der überwältigende Zuspruch von Mitarbeitern, Gästen und Kollegen beigetragen. Noch immer bekomme ich unzählige wohltuende und aufmunternde Briefe, E-Mails, Anrufe und sogar Geschenke. Dafür bin ich sehr dankbar!

Entstand der Entschluss, auf Pilgerreise zu gehen, spontan oder gab es diese Idee schon länger?

Ich hatte nie ernsthaft vor, pilgern zu gehen. Allein die Vorstellung, die Nacht mit anderen Pilgern in einem Schlafsaal verbringen und die sanitären Einrichtungen mit andern teilen zu müssen, hat mich geschreckt. Ich brauche keinen Luxus, aber nachts meine Privatsphäre. Mein Sohn Moritz, der 2014 auf dem Jakobsweg war, hat mir von überfüllten Pilgerherbergen und den hygienischen Umständen berichtet. Das war in meiner Vorstellung ein Albtraum.

Trotzdem haben Sie sich auf den Weg gemacht.

Nach der Kündigung wurde mir klar, dass ich erstmal Abstand zu meinem bisherigen Lebensryhtmus brauchen würde. Ich wollte abtauchen, gleichzeitig hab ich Orientierung gesucht, wollte zu mir selbst finden und herausfinden, was das Leben außer der Arbeit im Hotel Jacob sonst noch für mich bereithält. Als mir ein Freund für mein Vorhaben den Pilgerweg Via Francigena empfahl – und ich bei meiner Recherche feststellte, dass es auf dem Weg auch einfache, gute Unterkünfte gibt – stand die Entscheidung sehr schnell fest, dass ich mich von Lousanne aus zu Fuß auf den Weg nach Rom machen würde.

Erinnern Sie sich an Ihre Gedanken bei den ersten Schritten?

Ich habe mich unheimlich auf den Weg gefreut, war neugierig, voller Optimismus und Lebensfreude. Nachdem ich mit dem Zug von Altona in Lausanne bei schönstem Sommerwetter angekommen war, bin sofort runter zum Genfer See. Mein erstes Glücksgefühl.

Mit welchen Hoffungen haben Sie sich auf den Weg gemacht?

Es war ein stückweit Flucht, ich musste raus, mir fiel in Hamburg die Decke auf den Kopf. Ich wollte Abstand zum Hotel gewinnen und etwas unternehmen, was mit meinem bisherigen Leben nichts zu tun hatte. Morgens aufstehen und den Tag planlos auf mich zukommen lassen, physisch an meine Grenzen gehen, den Kopf frei kriegen und fernab von Nienstedten Orientierung im beruflichen wie privaten Leben finden.

Bäckerei Hartmut Körner e.K.


Gab es während der Pilgertour klare Erkenntnisse?

Ich bin kaum dazu gekommen, mir über mein Leben Gedanken zu machen. Mein Körper hat diese Reise nicht gewollt und das hat er mir deutlich zu verstehen gegeben. Neben den üblichen Blasen hatte ich ständig irgendwelche Blessuren. Das begann bereits nach wenigen Tagen mit geschwollenen Knien, danach quälte mich ein Magen-Darm-Infekt, der mich drei Tage aus dem Verkehr gezogen hat. Genau eine Woche später hatte ich 39,5 Grad Fieber, war wieder außer Gefecht gesetzt.

Dann gab es wiederholt Probleme mit meinem Schienbein. Als ich vor Schmerzen nicht mehr gehen konnte, hat mir ein italienscher Arzt dringend dazu geraten, ein paar Wochen Pause zu machen.

Das klingt alles nicht nach Erleuchtung …

Wie in meinem beruflichen Leben habe ich jede Etappe dann doch generalstabsmäßig geplant und nichts dem Zufall überlassen. Ich habe mich nicht treiben lassen. Das war ein großer Fehler: Nicht der Weg war das Ziel; für mich war immer nur das Ziel: ankommen. Morgens spätestens um 6.00 Uhr frühstücken wegen der Hitze, kurze Zeit später war ich unterwegs.

Ich habe unendlich viele Fotos an traumhaft schönen Stellen gemacht, und war überwältigt von der Schönheit der Natur, doch habe ich mich nicht wirklich darauf eingelassen. Stattdessen habe ich im selben Augenblick auf die Uhr geschaut und daran gedacht, wann ich mein nächsten Etappenziel erreiche.

Interview im „Café Paris“: Jost Deitmar im Gespräch mit Klaus Schümann und Helmut Schwalbach
Interview im „Café Paris“: Jost Deitmar im Gespräch mit Klaus Schümann und Helmut Schwalbach
Wie lang war so eine Etappe?

Im Durchschnitt war ich 25 Kilometer am Tag unterwegs. Beim Aufstieg zum Grand St. Bernard auf 2.469 Meter war ich etwas nachsichtiger mit mir, da betrug die Weglänge auch mal nur zehn Kilometer.

Die Etappen auf dem Weg über die Alpen waren meine schönsten. Wolkenloser Himmel bei 17, 18 Grad und kein Mensch weit und breit. Die Schönheit der Landschaft, die absolute Stille und Einsamkeit hat mir zeitweilig die Tränen in die Augen getrieben. Das waren unbeschreibliche Momente der Freiheit und des Glücks!

Die ein Tourist so nicht hat?

Ein Wanderer erlebt das anders. Ich habe Touristen mit dem Bus vorfahren und eine Bratwurst essen gesehen. Wer sich das als Wanderer hart erkämpft, erlebt diesen Blick vom Grand St. Bernard ganz anders. Ich habe mir dieses Erlebnis erkämpfen müssen. Und dabei lernen müssen, dass ich relativ untrainiert war.

Statt des Pilgerquartiers haben Sie einmal das Fünf-Sterne-Hotel gewählt. Wie haben die Gastgeber auf Sie als Wandersmann reagiert?

Ja, eine Nacht habe ich mir im Luxushotel „Montreux Palace“ am Genfer See gegönnt, das ich noch aus meiner Zeit in der Schweiz kenne. Gespannt war ich zu erleben, wie die Kollegen auf einen Pilger in kurzer Hose mit schwerem Rucksack, derben Schuhen, Schlapphut und Pilgerstock reagieren und wie ich mich dabei fühlen würde.

Wie nicht anders zu erwarten, hat man mich nicht spüren lassen, dass mein äußeres Erscheinungsbild nicht unbedingt zu der ansonsten elegant gekleideten Klientel passt. Die professionelle Gelassenheit der Mitarbeiter im Umgang mit jemanden, der da optisch nicht in den Rahmen passt, zeichnet die hohe Qualität eines Spitzenhotels aus. Mit meinen durchgeschwitzten Pilgerklamotten habe ich mich zwischen Marmor und Kristalllüstern allerdings ziemlich deplatziert gefühlt.

Nach der Pilgerreise sind Sie für zwei Wochen in ein Kloster gegangen. Warum?

Mein persönliches Ziel hatte ich mit der Pilgerreise ja noch nicht erreicht: Die erhoffte „Erleuchtung“ ist buchstäblich beim Pilgern auf der Strecke geblieben. Alle Fragen, auf die ich auf meiner Tour eine Antwort erhofft hatte, waren noch immer offen. Ich wollte das nicht einfach hinnehmen, hatte Zeit und wollte mir auf die Spur kommen. Ein Kloster schien mir dafür der richtige Ort.

Sie waren in der Abtei Münsterschwarzach, dem Kloster des berühmten Paters Anselm Grün. Warum ausgerechnet dort?

Eigentlich wollte ich gerade dort nicht hin, weil mir die riesige Kirche aus den 30er Jahren nicht gefiel: martialisch und bedrückend in ihrer Architektur. Ich hatte vielmehr ein Haus gesucht, das architektonisch allen gängigen Klischees eines anheimelnden Klosterbaus entspricht. Alle in Frage kommenden Klöster und Abteien waren aber so kurzfristig nicht frei und so bin ich eher widerwillig in Münsterschwarzach gelandet. Und das war ein Segen!

Konnten Sie im Kloster die großen Schicksalsschläge Ihres Lebens, der Tod Ihrer Frau 2013 und der Jobverlust vor einem halben Jahr aufarbeiten?

Das war das Ziel des Klosteraufenthaltes. In der ersten Woche habe ich zwei Kurse besucht, einen Kontemplationskurs und einen, der sich mit persönlicher wie beruflicher Orientierung beschäftigt. In der zweiten Woche, und das hat mir besonders geholfen, hatte ich Einzelgespräche mit einem Mönch, dem es gelungen ist, Themen aus meinem Innersten hervorzuholen, zu denen ich bereit war mich zu öffnen.

Wie geht es nun mit Jost Deitmar weiter?

Nach 20 Jahren im Hotel Jacob kümmere ich mich noch immer ausschließlich um mich selbst. Mir geht’s sehr gut, ich ruhe in mir und bin gleichzeitig voller Energie und Tatendrang. Wie gesagt, akzeptiere ich die Kündigung nicht und klage vor dem Arbeitsgericht dagegen. Wie immer der Prozess ausgehen wird, meine oberste Prämisse für die Zukunft heißt: Ich bleibe in Hamburg!

Gespräch: Klaus Schümann und Helmut Schwalbach

http://www.kloenschnack.de/

Reisebüro von Daacke

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