3. August 2015
Magazin

Die Kunst muss nicht immer schön sein 

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DIE KUNST – Stellungnahme 

Die Kunst muss nicht immer schön sein 

GASTKOLUMNE: Von der Wahrnehmung des Kreativen 

Seit Urzeiten machen Menschen Kunst, und seit ewigen Zeiten wird darüber gestritten, was Kunst ist und was nicht. „Ist das Kunst, oder kann das weg“ lautet der Titel eines nicht ganz ernst gemeinten Buches zu einer Documenta. 

Ex-TV-Moderatorin und Objekt-Künstlerin Victoria Voncampe aus Nienstedten
Ex-TV-Moderatorin und Objekt-Künstlerin Victoria Voncampe aus Nienstedten
Genau das aber ist das Dilemma, in dem sich viele befinden. Jede Zeit hat ihre Kunst. Am Beispiel von van Gogh lässt sich sehr gut zeigen, wie unterschiedlich Kunst in den verschiedenen Epochen gesehen wird. Zu seinen Lebzeiten war er mit seinen Bildern völlig erfolglos. Kein Kunsthändler oder Sammler hatte Verständnis für seine Werke. Die Schönheit seiner Bilder konnten die Menschen von damals nicht sehen. Heute sind diese so begehrt, dass sie astronomische Preise erzielen.
Ein Beispiel für die verschiedenen Kunststile der letzten Jahrzehnte ist die sogenannte „Abstrakte Kunst“. Als Begriff existiert sie seit etwa 100 Jahren. Sie verstand sich ursprünglich als Gegenentwurf zu den Idealen der naturalistischen, bildlichen Darstellung – als Alternative zur sichtbaren Realität. Der Surrealist René Magritte hat mal gesagt: „Ein noch so detailgetreues Gemälde ist niemals gleich dem abgebildeten Objekt selbst. Wenn die Kunst also in jedem Fall eine eigene Welt verkörpert, kann sie auch gleich eine eigene Welt erschaffen, die nichts mit der erfahrbaren Realität zu tun hat.“ Das klingt logisch – oder?
Das Theaterstück „Kunst“ der französischen Autorin Yasmina Reza handelt davon, dass eine langjährige Freundschaft dreier Männer auf eine harte Probe gestellt wird. Einer von ihnen hat ein weißes Bild mit weißen Streifen gekauft, für sehr viel Geld. Dieser Kauf stößt bei seinen Freunden auf völliges Unverständnis. Er verteidigt seine Entscheidung vehement. Während der eine Freund ihn heftig attackiert, versucht der andere zu vermitteln. Eine langjährige Freundschaft gerät ins Wanken. Auch im wahren Leben gibt es genügend Anhänger von sogenannten „monochromen“ Bildern, die Bezeichnung für Bilder mit nur einer Farbfläche. Auch hier gehen die Meinungen, ob das Kunst ist, weit auseinander.
Ein aktuelles Beispiel, das bei einigen Menschen für Unverständnis und Aufregung sorgt, ist der Steinbock auf dem Kopf des Bismarckdenkmals im Alten Elbpark. Ein Wiener Künstlerduo hat, im Rahmen des Architektursommers, einem deutschen Mythos Hörner aufgesetzt. Bewusst wird hier die Heldenverehrung torpediert, die Bismarck von seinen Anhängern entgegengebracht wurde und wird. Ist das respektlos? Ja, das ist es – und genau das soll es sein. Es ist ein wunderbarer Anblick, wenn man vom Holstenwall, mit einem Schmunzeln, auf Bismarck und den Steinbock blickt.
Kunst muss nicht nur nett, gefällig und harmonisch sein, sodass das Auge nirgends anstößt. Auch gerade fragwürdige, unsinnige oder sogar hässliche Kunstwerke machen Dinge mit uns. Es geht nicht um Bilderbuchperfektion. Das war vielleicht mal so, als es noch keine Fotografie gab. Es geht darum, sich auf etwas einzulassen, das mit der Norm bricht, frei von jeglicher oberflächlicher Beurteilung. Sich einen Moment Zeit zu nehmen, zu fantasieren oder sich einfach treiben zu lassen von Farben oder markanten Impressionen. Verweilen und Nachdenken ist der Schlüssel. Kunst ist viel mehr als dass, was wir sehen. Kunst reizt unser Unterbewusstes, kitzelt unsere Nerven und bleibt in Erinnerung.
Der große Meister dieses Denkprozesses war Joseph Beuys. Er gilt als einer der wichtigsten Protagonisten der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts.
„… sich auf etwas einzulassen, das mit der Norm bricht, frei von jeglicher oberflächlicher Beurteilung!“
Warum aber gibt es Menschen, die so begeistert sind von einem „modernen“ Kunstwerk, dass sie es unbedingt besitzen müssen, koste es was es wolle; andere wiederum stehen kopfschüttelnd davor. Ist es die Beschäftigung mit diesem Thema, die mehr Verständnis für „moderne“ Kunst entwickelt, ist es „nur“ der unterschiedliche Geschmack den jeder hat; oder sind es unsere „Sehweisen“, bedingt durch unsere beiden Hirnhälften? Auf den ersten Blick erscheinen sie fast identisch, aber nur auf den ersten Blick; denn jede unserer beiden Hemisphären scheint bestimmte Funktionen entwickelt zu haben und jede hat ihr eigenen Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken und Ideen. Das zumindest haben Wissenschaftler herausgefunden. Die linke Hemisphäre steht u. a. für Zahlenverständnis, geschriebene Sprache, argumentatives und bewusstes Denken oder Logik. Die rechte Hemisphäre dagegen für Intuition, unterbewusstes Denken, Kreativität, Vorstellungskraft, Musik und Kunst. Vielleicht liegt ja darin der Schlüssel des Geheimnisses: dass die Eigenschaften bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind – mehr rechts oder mehr links – und wir deshalb Kunst unterschiedlich wahrnehmen: schön, hässlich, langweilig, interessant oder aufregend.
Bleibt nur noch zu sagen: ein Hoch auf die Kunst, auf die Vielfältigkeit; darauf, dass Kunst unser Leben so bereichern kann. Es sind nicht immer nur die „großen“ Künstler und Galerien, die Millionen Preise für ihre Werke erzielen, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken sollten. Es sind vor allem – und gerade auch in Hamburg – oft die kleinen Ausstellungsräume und Ateliers, versteckt in den Hinterhöfen, da wo Mieten noch bezahlbar sind. Gehen Sie auf Entdeckungsreise, lassen Sie sich überraschen und auch mal auf etwas ganz Neues, Ungewohntes ein.
Victoria Voncampe

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