1. April 2016
Magazin

Der Frühling der Stöckchen-Erotiker

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HUNDEZEIT

Der Frühling der Stöckchen-Erotiker

ELMAR SCHNITZER: Ein Hundeleben im Frühling

Was gibt es schöneres als einem fliegenden Stöckchen oder gar solidem Ast nachzujagen. Der Journalist und Buchautor Elmar Schnitzer aus Blankenese berichtet von Kalles Frühlingsempfinden.

Gute Freunde: Autor Elmar Schnitzer mit seinem Kalle
Gute Freunde: Autor Elmar Schnitzer mit seinem Kalle
Der Frühling bringt sie an den Tag und sie unsere Hunde um ihre Selbstbeherrschung: Stöckchen, bisher gut versteckt unter Laub und Gestrüpp, und, hin und wieder, sogar unterm Schnee. Hunde sind ganz verrückt nach Stöckchen, manche geradezu maßlos in ihrem Wollen. Nietzsche, der Zyniker, würde sagen: „Es ist leichter, einer Begierde zu entsagen, als mit ihr Maß zu halten.“ Und hätte damit zumindest bei meinem Kalle voll ins Schwarze getroffen. Der Rotti ist so begierig auf Stöckchen, dass er schon gar nicht mehr merkt, dass nicht er sie verfolgt, sondern sie ihn.

Der Wald Marienhöhe ist ein einziges Schlaraffenland der Stöckchen. Wo Kalle geht oder kurz auf drei Beinen steht, liegen welche und versuchen ihn. Das bringt ihn in Stress. Er will sie alle. Und am liebsten alle auf einmal. Was auch bei großer Schnauze zur Folge hat, dass er permanent vor der Frage steht, welchen Stock er sich zuerst schnappen und wie er es am schlauesten anstellen kann, dass ihm von den anderen bloß keiner entgeht.

Jedoch: Zu glauben, Stöckchen wären für ihn einfach nur kleine Bäume, die speziell für ihn aus der Erde wachsen, geht weit an der Sache vorbei. Kalle ist ein Stöckchen-Erotiker, die Hölzer seine Gespielinnen. Die Auswahl ist ganz klar seine Sache und erklärt gleichzeitig, warum er sich sehr viel lieber mit Stöckchen und ausgesprochen ungern mit Stöckchen und mir beschäftigt: Welcher Mann teilt seine Gespielin schon freiwillig mit einem anderen …

Die besten Stöckchen sind wie Pfirsiche, mit samtener Haut, zartem Fleisch und hartem Kern …

Jedes Stöckchen ist ein Solitär für ihn, mit eigenem Aroma und eigenem Maulgefühl, aus unterschiedlichstem Holz und von unterschiedlicher Form. Hart, weich, rund, eckig, mit und ohne pieksende Zwergästchen, die wie Bartstoppeln aus der Rinde spitzen. Lang, kurz, dick, dünn, geringelt oder gerade. Und jedes hat seinen persönlichen Duft, die Jungen, die Mittelalten und die Alten, also die, die bereits im Zustand süßen Verfaulens sind.

Die besten Stöckchen sind wie Pfirsiche, mit samtener Haut, zartem Fleisch und hartem Kern, der Kalles Zähnen ordentlich Kontra gibt. Sie zu finden ist die Königsdisziplin, sie zu knacken die Krönung.

Allesamt entfachen sie in Kalle einen Feuersturm der Gefühle und erfüllen ihn mit dem rauschhaften Glück des Überlegenen. Was für ihn nicht ohne Tücke ist. Im gleichen Maße, in dem er im Mut erstarkt, verausgabt er sich im Übermut, was wiederum oft genug auch für eigenen Unmut sorgt. Geschmäcklerisch tastet sich Kalle zunächst mit seinem Riechorgan und danach mit seinen Vorderzähnen an die Hölzer heran, schnüffelt, prüft mit dem Gebiss, oben, unten, in der Mitte. Dann kommt der alles entscheidende Augenblick: Entweder Kalle wendet sich beleidigt ab, weil das Stöckchen nicht gehalten hat, was er sich von ihm versprach. Oder das Werben um dessen Gunst beginnt. Da ist Kalle echt erfinderisch.

Zunächst testen seine Beißerchen das Holz, mal fester, mal weniger fest, mal zärtlich, und loten so aus, wie lange es ihnen standhält, ehe es sich krachend und splitternd in einen Hain von Mini-Hölzern auflöst. Besonders beliebt ist das Kleinholz, das Springpferde hinterlassen. Bis so eine armdicke Stange klein beigibt, das dauert …

Weniger kompakten Stöckchen und Stöcken verhilft er gerne mal zu einem Höhenflug, auf dass sie wieder in seinem Fang landen. Wieder andere trägt er nur von einem Stöckchen zum nächsten, weil er ohne nicht sein will. Süchtig nennt man so was.

Ist ihm eine Eroberung zu klein, tauscht er Hölzchen gegen Äste und wechselt nach athletischem Schüttelexzess in den Waldarbeiterjob, um ihnen mit seinen Zähnen die Widerhaken abzuhacken, die deren festem Zugriff auf den Stamm im Wege stehen. Um seine Beute schließlich hoch erhobenen Hauptes mit sich zu tragen. Stolz ist die Schönheit des Mannes.

Es kommt aber durchaus auch vor, dass er sich bei seinen Vergnügungen die Zähne ausbeißt, speziell an entwurzelten Baumstämmen, die er als stete Herausforderung ansieht, weil sie sich ihm konsequent verweigern. Und wenn er sich noch so ins Zeug legt, sie bleiben zu schwer und zu mächtig und sind überdies mit Ästen bewehrt, die ihm wie Lanzen entgegenstehen und jede Attacke vereiteln. Was auch sein Gutes hat: So lernte Kalle einzusehen, dass er nicht alles und nicht jede nach Herzenslust beuteln kann, will er nicht selbst als Gebeutelter enden. Womit wir wieder bei Nietzsche wären … Elmar Schnitzer 

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