31. Juli 2018
Magazin

„Aufrechnen bringt nichts“

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INTERVIEW DES MONATS 

„Aufrechnen bringt nichts“

Sagen Sie mal …
Dr. Matthias Schmoock, Journalist und Autor

Während im Zuge der Operation „Gomorrha“ im äußersten Westen Hamburgs nur vereinzelt Bomben fielen, wurde der Osten nahezu restlos vernichtet. Im Juli und August 1943 starben etwa 40.000 Menschen.

„Man will politisch-korrekt und unangreifbar sein.“
„Man will politisch-korrekt und unangreifbar sein.“
Herr Dr. Schmoock, immer wenn ein Jahrestag ansteht, wird die Operation Gomorrha zum großen Thema. Wo sehen Sie die Gründe?

Hier gilt es nach wie vor, einige Lücken zu füllen. Das gilt besonders für die Biografien der Opfer. Über die Hintergründe der Operation Gomorrha wird sehr viel gesagt und geschrieben, aber letztlich zu wenig über die Opfer. Wir kennen kaum ihre Namen, es gibt nur wenige Denkmäler, die auch nicht personalisiert sind. Außerdem gibt es viele widersprüchliche Angaben darüber, welche Instruktionen die Engländer zu welchem Zeitpunkt hatten. Haben sie, das als Beispiel, tatsächlich Flugblätter abgeworfen, in denen die Bombardierung Barmbeks angekündigt wurde, wie Zeitzeugen sagen?

Warum gibt es nach wie vor viele offene Fragen?

Was die Bombardierung Hamburgs betrifft, ist mir das auch unklar. In den Archiven, auch in den britischen, muss es noch viel Material geben.

Wenn britische Historiker ihre eigene Sicht auf die Hamburger Ereignisse im Juli/August 1943 haben, ist das verständlich. Warum tun sich aber deutsche Historiker so schwer, die Operation Gomorrha aufzuhellen?

Grundsätzlich gilt: Aufrechnen bringt nichts. Tatsächlich hat es in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel gegeben und es wird mehr über die Bombenopfer geschrieben als früher. Man muss bei dem ganzen Thema immer wieder daran erinnern, dass der Krieg von Hitler ausging und Hintergründe ausleuchten, völlig logisch. Mich wundert aber, mit welcher Nonchalance dann über die Bombenopfer hinweggegangen wird. Teilweise werden sie wie Kollateralschäden behandelt. Bei einer Dimension von an die 40.000 Toten alleine in Hamburg ist das nur schwer zu verstehen.

Zumal es britische Stimmen gab, die das Ausradieren deutscher Städte ebenso sinnlos wie bestialisch fanden …

Nach Hamburg wurden noch viele andere deutsche Städte bombardiert, bis kurz vor Kriegsende. Man sprach damals in England von einer „Hamburgisierung“. Ich finde das zynisch.

„Das muss alles in den britischen Archiven liegen.“

Das alles beantwortet noch nicht die Frage, warum deutsche Historiker eine doch recht einseitige Sicht der Ereignisse pflegen.

Eine einseitige Sicht der Ereignisse sehe ich nicht. Ich würde eher von einer unvollständigen Akzentuierung sprechen, die mutmaßlich aus dem Bestreben rührt, möglichst viele Aspekte anzusprechen. Dadurch entfernen sich manche zu stark von den Menschen, das Thema wird zu abstrakt. Gerade habe ich eine Einladung zu einer Gedenkfeier bekommen. Darin ist viel davon die Rede, man müsse angesichts erstarkender AfD ein Friedensfest für die Bomben-Opfer veranstalten. Da frage ich mich schon, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Vor einigen Jahren gab es eine „Gomorrha“- Ausstellung, in der 70 Prozent den Weg in den Bombenkrieg behandelten. Die eigentliche Bombardierung beinhaltete gerade mal 20 Prozent, der Rest drehte sich um die Nachkriegszeit. Ich finde das schade, sehe hier auch vertane Chancen.

Bäckerei Hartmut Körner e.K.

Besteht nicht auch eine Gefahr darin, Dinge nicht zu benennen, die sich dann ganz andere Kanäle suchen?

Genau. Die Menschen, die Leser von Büchern und Zeitungen, sehen dieses Missverhältnis natürlich auch und fühlen sich nicht wirklich angesprochen. Es besteht die Gefahr, dass sie im Internet dann irgendwann auf rechtsradikalen Plattformen landen, auf denen ausschließlich der Opfermythos stilisiert wird. Das halte ich für ganz gefährlich.

Fürchten zu viele Historiker und Publizisten, in die rechte Ecke gestellt zu werden, wenn sie ein vollständiges Bild zeichnen?

Das mag sein. Man will politisch-korrekt, unangreifbar sein und dann kommen dabei unbeabsichtigt Darstellungen heraus, die unvollständig oder zu oberflächlich sind. Dabei wäre es so einfach, ein rundes Bild zu liefern.

Noch einmal zum Bombenkrieg. Können Bomben auf zivile Ziele eine gerechte Strafe sein, wie von vielen Historikern im Fall von Städten wie Hamburg und Dresden dargestellt wird?

Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Ich persönlich finde, dass Bomben auf Frauen und Kinder weder als Strafe noch als Teil einer militärischen Strategie geeignet sind. Aber was ich finde, ist irrelevant. Diese Dinge sind ja geschehen – und geschehen so auch heute noch. Fakt ist, dass der Versuch, die Kampfmoral zu brechen, bei „Gomorrha“ nicht funktionierte. Das wissen heute auch Historiker. Teilweise sind die Menschen nach den Angriffen noch viel fanatisierter in den Kampf gezogen als sie es vorher getan hätten. Ich habe den Zeitzeugen Günter Lucks interviewt, der in seinem Buch „Der rote Hitlerjunge“ ganz offen bekannte, dass er – obwohl Kommunist – nach „Gomorrha“ gegen „die Engländer kämpfen“ wollte.

Dr. Matthias Schmoock (rechts) im Gespräch mit Helmut Schwalbach
Dr. Matthias Schmoock (rechts) im Gespräch mit Helmut Schwalbach
Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit Zeitzeugen?

Sehr vielschichtig – und immer spannend. Ich habe Menschen interviewt, die heute noch sehr unter den Ereignissen von damals leiden. Eine über 80 Jahre alte Frau sagte, dass sie heute noch nicht durch Hammerbrook fahren könne. Auch Baustellen erinnerten sie an die Bombenangriffe.

Wenn ich lese, dass die Hälfte der Gomorrha- Opfer Frauen und Kinder waren, dann muss es erlaubt sein, darüber zu sprechen. Lassen Sie hier den Vorwurf der Emotionalisierung gelten?

Auch bei anderen Opfergruppen wird emotional berichtet. Das finde ich auch wichtig und richtig, solange die Berichterstattung insgesamt sachlich bleibt. Wenn man Zeitzeugen spricht, sind ihre Schilderungen natürlich fast immer emotional und damit, richtig eingeordnet, eine gute Ergänzung zu Zahlen, Daten, Fakten. Das Thema wird so auch für Schüler und Studenten interessanter. Aber wie gesagt: Was den Umgang mit „Gomorrha“ betrifft, könnte da deutlich mehr geleistet werden.

„Wenn sich Zeitungen des Themas annehmen, gibt es immer ein Riesenecho.“

Müssen jetzt Leser und andere am Thema Interessierte wieder fünf Jahre warten, bis die Diskussion weiter vorangetrieben wird?

Hoffentlich nicht. Historiker und Journalisten müssten daran interessiert sein, das Thema zügig weiter zu bearbeiten. Sie sollten möglichst viele Zeitzeugen befragen, denn es werden immer weniger. Gespräche und Texte über das Thema Gomorrha sind für alle lehrreich. Wenn sich Zeitungen des Themas annehmen, gibt es immer ein Riesenecho. Daran ist zu erkennen, wie sehr die Menschen diese Ereignisse noch beschäftigen.

Wie lange wird uns das Thema noch beschäftigen?

Selbst wenn von den Zeitzeugen niemand mehr da sein wird, leben deren Kinder und Enkel weiter. Heute wissen wir, dass sich Traumata weitervererben. Damit ist „Gomorrha“ ein fast unendliches Thema. „Gomorrha“ ist noch immer präsent. Vom Verhalten der Menschen, die dabei waren, bis zur Nachkriegsarchitektur mit ihren vielfältigen Problemen Das fällt selbst Menschen auf, die mit Geschichte sonst wenig zu tun haben wollen.

Dürfen wir uns in fünf Jahren, zum 80. Jahrestag, auf ein neues Buch über die Operation Gomorrah von Ihnen freuen?

Wenn ich ein Buch machen sollte, würde ich die Opfer sprechen lassen, die bislang kein Forum hatten.

Dr. Schmoock, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch und wünscht viel Erfolg bei Ihrem nächsten Buch, hoffentlich zum Thema.


Fragen: Helmut Schwalbach
Fotos: Louisa Heyder
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