2. März 2017
Magazin

THEMA: Wer geht noch essen?

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TIMS THESEN 

THEMA: Wer geht noch essen?

Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
These: Seit dem Zweiten Weltkrieg waren die Zeiten für die mittlere und gehobene Gastronomie in Deutschland noch nie so schlecht. Das mag überraschen, leben wir doch in Zeiten des Überflusses. Der ist in meinen Augen aber einer der Gründe für die Misere. Wenn aus Speisekarten prätentiöse Prosawerke werden und selbst das Tafelwasser mit umfangreichem Stammbaum daherkommt, dann frage ich mich, ob wir nicht alle durchdrehen. Klar, Luxus ist eine tolle Sache, aber hier geht es nicht um Luxus. Hier geht es um ein Steak (dry aged, von rechtsdrehenden Kühen, die mittels Handjob getötet wurden), um Kartoffelbrei („Schäumchen von der Linda mit einer Begegnung von Trüffel“), um die Kugel Eis, paar Drinks, zwei Personen am Tisch und auf der Rechnung dann 137 Euro … plus 20 Euro für Weintrinker. Angesichts der Prohibitionspreise für nichtssagende Grauburgunder frage ich mich, warum Restaurateure nicht gleich Straßenräuber engagieren. Die würden dem Gast auf dem Nachhauseweg die letzten Scheine abnehmen und das Restaurant vom Ruf des Nepplokals befreien. Wir müssten uns dann auch nicht immer wieder die Frage stellen: „War das wirklich etwas besonders Tolles?“

Wenn man selbst kochen kann, dann lautet die Antwort nämlich meist: „War’s nicht.“

Gleichzeitig verführt die Omnipräsenz kulinarischer Themen Entrepreneure dazu, ein Restaurant nach dem anderen zu eröffnen. Der Trugschluss: Wer Esskultur im TV bewundert, der hat auch welche. Von wegen! Nicht ohne Grund sagte einmal ein deutscher Padron über die Franzosen: „Die haben nicht die besseren Köche, sondern die besseren Gäste.“

Da ist was dran. Wenn ein Kellner in Deutschland an einen Tisch mit sechs Personen tritt, dann geht es nicht um Vorlieben, sondern um Krankheiten, Allergien, Wahnvorstellungen. Erst wenn Vegetarier, Veganer, Laktoseintolerante, Glutenintolerante, ein Reizmagen und ein Paläo-Spinner zu Wort gekommen sind, darf der Kellner sechs verschiedene Menüs mit jeweils drei verschiedenen Änderungen notieren. Der Koch freut sich enorm! Er kocht alles mit Raffinesse und Liebe und „La Traviata“ auf den Lippen.

(Gute Köche sind übrigens rar. Das ist zweifellos einer der Gründe für die vielen Burger-Restaurants. Für einen Burger brauchen Sie keinen fähigen Koch, sondern einen Burschen mit starker Blase, der zwischen Grill und Saladette nicht die Nerven verliert.)

Auch der Service ist ein Problem. Sie gehen gerade noch als Humanoid durch und riechen streng? Macht nichts! Die Personallage ist so katastrophal, dass sich ein verzweifelter Wirt mit einem Job für Sie finden lässt. Nette, kompetente Exemplare dürfen in der gehobenen Gastronomie zwischen mehreren Stellen auswählen. Der Gast freut sich, wenn er sie bemerkt. Sie sind leider ebenso wenig selbstverständlich wie ein schöner, befriedigender und denkwürdiger Abend im Restaurant.

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