31. August 2017
Magazin

THEMA: Viva la Stechuhr!

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TIMS THESEN 

THEMA: Viva la Stechuhr!

Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Tim Holzhäuser schreibt hier seine monatliche Glosse
Ein Freund von mir ist Tischler. Er arbeitet in einem Betrieb mit etwa zwölf Angestellten. Familiärer Laden. Dann erwähnte er nebenbei die Stechuhr.

„Stechuhr?!“, japste ich und sah vor meinem geistigen Augen einen gusseisernen Automaten mit Typenschild von 1930. „Die Chefin sagt, das dient unserem Schutz“, erklärte mein Freund und sprach über vorgeschriebene Ruhezeiten. Ich beglückwünschte ihn zu seiner arglosen Sicht auf die Welt und glaubte keine Sekunde lang an „Schutz“. Wann würde ich eine Stechuhr an die Wand schrauben? Wenn ich eine Kohorte von Ungelernten im Akkord Kugelschreiber zusammenbauen ließe oder Betriebsleiter des Traktorenwerks „Wolga“ im Russland der 30er Jahre wäre. Sonst eigentlich nicht. Wozu soll es auch gut sein? Eine Kontrolle der Arbeitszeit in der heutigen Zeit ist in den meisten Branchen atemberaubend sinnlos. Nehmen wir das typische Büro. Es ist möglich, Ehrgeiz auszustrahlen und innerlich total durchzuhängen. Da kommt einer auf die Minute pünktlich, geht eine halbe Stunde nach Schluss – und zwischendurch ballert er sich durch virtuelle Welten, gräbt die brünette „Pianistin“ auf Elitepartner an oder qualmt alle halbe Stunde auf dem Balkon.

Es gibt Halbtagsmamis, die schaffen zwischen 9 und 13 Uhr das weg, was den Ganztags-Kollegen drei Tage lang aufhält. Der weiß nämlich, er hat die Zeit, also lässt er es ruhig angehen. Am Ende des Jahres hat er den Ruf des Leistungsträgers und ein schönes Weihnachtsgeld. Sie erntet böse Blicke, wenn das Kind mal krank ist. Letztlich erinnert das an die Schulzeit. Wer sich häufig meldet, bekommt eine gute Note, auch wenn nur Stuss dabei rauskommt.

 Mit der Stechuhr exekutierte Arbeitszeiten führen auch dazu, das flächendeckend Theater gespielt wird. Seien wir ehrlich: Es gibt keinen Betrieb in diesem Sonnensystem, der zu jeder Stunde voll ausgelastet ist. Jedes Gewässer kennt Flaute – die in den Büros aber nicht zur Kenntnis genommen wird. Auch wenn alle wissen, es ist nicht viel zu tun, halten die Leistungsträger eisenhart die Illusion des Tüchtigen und Tapferen aufrecht. Eine Farce und der Selbstachtung nicht dienlich. Die logische Konsequenz aus diesen Überlegungen? Vereinbaren, dass in den Kernzeiten jemand am Telefon sitzt und darüber hinaus alle Arbeitszeiten freigeben. Es gibt Betriebe, die machen das und es funktioniert. Die große Mehrheit hält aber unverbrüchlich fest am Organisationsmodell „Russisches Traktorenwerk Wolga, 1930“.

Warum? These hierzu: Die meisten Chefs sind sich über die Sinnlosigkeit regulierter Arbeitszeiten völlig im Klaren, schätzen aber deren Gleichmachereffekt. Schluffi, Überflieger, Normalo, Nerd – alle sitzen einträchtig nebeneinander, von Konjunktur und Saison unbehelligt. Kein Neid, kein Zwist, kein Vorpreschen und letztlich auch keine nervtötenden Gehaltsverhandlung mit Verweis auf Leistung und Effizienz.

Zimmerei & Dachdeckerei Rathje
Pielström Haustechnik GmbH
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