2. Februar 2017
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Verdichtetes Wohnen  

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LEBEN UND WOHNEN

Verdichtetes Wohnen  

Zwischen Kulturlandschaft und Bedarf 

Das Blankeneser Ufer repräsentiert den typischen Charme der Elbvororte: großzügige Häuser und viel Grün
Das Blankeneser Ufer repräsentiert den typischen Charme der Elbvororte: großzügige Häuser und viel Grün
Seit 2011 hat der Bauboom die Elbvororte fest im Griff. Im Laufe der städtischen Verdichtung sind zahlreiche neue Wohnflächen in Mehrfamilienhäusern in Bau und Planung, die nur durch Ausnahmeregelungen zustande kommen. Doch was bleibt von der Kulturlandschaft übrig? Ein Überblick.

Der Charme des Stadtteils muss geschützt werden!“ Rechtsanwalt Frank Neubauer ist mit seiner Meinung über die Bebauung in den Elbvororten nicht alleine. Mittlerweile stehen 500 Mitglieder seiner Bürgerinitiative hinter ihm. Sie alle wollen die ortstypische Kulturlandschaft mit ihren Villen und großzügigen Grünanlagen vor Verdichtung mit modernen Mehrfamilienhäusern schützen. Nicht, weil neue Bewohner unerwünscht wären, sondern weil sich das Stadtbild zu stark wandelt.

Einfamilienhäuser auf großen Grundstücken mussten im anhaltenden Bauboom weichen, um Platz für Mehrfamilienhäusern zu schaffen. Dies geschieht zunehmend mit speziellen Sondergenehmigungen, da ein solcher Bau in vielen Bebauungsplänen nicht zulässig ist.

In den Hochkamper Bedingungen von 1918 heißt es zum Beispiel, dass in der Villenkolonie Hochkamp nur Einfamilienhäuser im Villenstil erbaut werden dürfen, in denen außerdem keinerlei gewerblicher Betrieb geführt werden darf. Diese Bedingungen gelten zum Schutz des Quartiers bis heute. In Nienstedten sind lediglich zwei Wohnungen pro Grundstück in den Bebauungsplänen zugelassen. In zahlreichen Straßen wie in der Rupertistraße oder im Albertiweg sieht es dennoch anders aus: Es wird in großem Mehrfamilienhaus-Stil gebaut, da das Bezirksamt in Rücksprache mit Politikern in nichtöffentlichen Sitzungen Befreiungen veranlasst.

„Die Bauaufsicht und die Politiker denken, sie dürften über die Bebauungspläne hinweg entscheiden. Das stimmt so nicht. Ein Plan hat Gesetzeskraft.“ 

In der Rupertistraße in Nienstedten entsteht ein neues Mehrfamilienhaus 
In der Rupertistraße in Nienstedten entsteht ein neues Mehrfamilienhaus 
Das alte Haus im Albertiweg wird vollständig abgerissen  
Das alte Haus im Albertiweg wird vollständig abgerissen  
Frank Neubauer und die Mitglieder der von ihm gegründeten Bürgerinitiative halten dies für gesetzeswidrig. „Die Bauaufsicht und die Politiker denken, sie dürften über die Bebauungspläne hinweg entscheiden“, erklärt Neubauer. „Das stimmt so nicht. Ein Bebauungsplan hat Gesetzeskraft.“

Politiker wie Uwe Szczesny von der CDU verkennen seiner Meinung nach, dass Hamburg die parkartigen Vororte für die Gesamtattraktivität der Stadt dringend benötigt. „Herr Szczesny gibt alle Bauanträge zur Entscheidung an den Bauausschuss, aber die dürfen eigentlich nicht entscheiden. Deshalb haben wir eine Eingabe mit der FDP an die Bezirksversammlung gestellt.“

Szczesny weist diesen Vorwurf deutlich zurück: „Der Bauausschuss und der Planungsausschuss sind sehr wohl zuständig und berechtigt, Entscheidungen zu treffen. Das ist ein völlig normales Verfahren.“ Für den CDU-Politiker sind die Bebauungen ein schwieriges Thema, da auch der CDU wichtig sei, das Stadtbild der Elbvororte zu schützen – aber in Kombination mit einer angemessenen Verdichtung.

Sanierungen an der Villa Brandt im Jahre 1978 FOTO: BICK 
Sanierungen an der Villa Brandt im Jahre 1978 

FOTO: BICK 
Neubauers Initiative setzt sich für neue Bebauungspläne und öffentliche Sitzungen ein. Dabei geht es den zum Großteil selbst betroffenen Anwohnern nicht darum, eine Veränderung und Verdichtung zu verhindern. Der Charakter, das optische Erscheinungsbild stehe im Vordergrund. Trotz neuer Wohnungseinheiten dürfe der Parkcharakter und das grüne urbane Wohnen nicht zerstört werden.

„Wir zeigen uns dabei schon kompromissbereit“, merkt der Rechtsanwalt an. „Unser Vorschlag besagt, dass anstatt von nur zwei Wohneinheiten pro Grundstück – wie es die alten Bebauungspläne vorschreiben – auch vier, auf sehr großen Grundstücken auch sechs in Ordnung sind. Wir wollen eine gemäßigte Verdichtung mit Gebäuden, die an die Umgebungsbebauung angepasst sind. Bitte keine Plattenbauten!“

Auch die Tatsache, dass Eigentümer Bewohner zunehmend unter Druck setzen, müsse aufhören. Immer wieder gebe es hohe Angebote für ältere Häuser, um auf dem Grundstück einen neuen Mehrfamilienkomplex zu errichten. Alte Häuser werden dafür häufig komplett abgerissen, anstatt saniert oder vergrößert zu werden.

Naherholung im Hessepark 
Naherholung im Hessepark 
Alt-Blankenese FOTO: BÄCKEREI KÖRNER 
Alt-Blankenese FOTO: BÄCKEREI KÖRNER 
„Veränderungen an Bestandsbauten werden grundsätzlich abgelehnt, bei Neubauten ist alles möglich“, so Neubauer. „Preiswerte Wohnungen, wie es die Politiker eigentlich wollen, entstehen bei all dem aber trotzdem nicht. Es wird nur spekuliert und Geld gemacht.“ Wenn sich niemand für die Kulturlandschaft einsetze, seien die Elbvororte in drei bis vier Jahren „nicht mehr zu retten“.

Der Antrag bei der Bezirksversammlung sei der erste wichtige Schritt, um dies zu verhindern. Wenn nötig, will die Bürgerinitiative auch bis zum Bundesverwaltungsgericht gehen. Das sei aber ein langer und harter Weg, den Neubauer nur ungern einschlagen würde: „Ich appelliere da an den Verstand der Politiker, dass sich im Vorfeld ein Kompromiss findet. Wir sind dazu bereit, auf sie zuzugehen.“ Zunächst wartet die Initiative auf eine Stellungnahme der Rechts- und Fachaufsichtsbehörde. „Wir bleiben definitiv dran, denn das Echo in den Elbvororten ist sehr groß. Wir setzen uns auch weiterhin für mehr Transparenz und neue Bebauungspläne ein, die dann strikt eingehalten werden müssen.“

Nach Meinung des Bezirksamtes Altona besteht für die Elbvororte kein Grund für neue Bebauungspläne.

Villen-Klassiker an der Elbchaussee in Nienstedten. Hier steht heute der Internationale Seegerichtshof
Villen-Klassiker an der Elbchaussee in Nienstedten. Hier steht heute der Internationale Seegerichtshof
Das Bezirksamt Altona sieht das vollkommen anders. Nach seiner Meinung besteht für die Elbvororte kein Grund für neue Bebauungsplanverfahren, da die Pläne genügend Schutz für das Stadtbild bieten. Eine Fortentwicklung sei außerdem zeitgleich möglich. Nach Sprecher Martin Roehl hält man sich entgegen des Vorwurfs von Neubauer sehr wohl an Gesetze. Nämlich an das höherrangige Recht, nach dem bauliche Ausnahmeregelungen Vorrang vor Bebauungsplänen haben, wenn es erforderlich ist. Auf diese Weise wurden unter anderem die von der Bürgerinitiative kritisierten Mehrfamilienhäuser in Nienstedten genehmigt. 

Ein ähnlicher Konflikt wie in Nienstedten spielt sich seit Sommer letzten Jahres auch in Rissen ab. In das Gewerbegebäude an der Rissener Landstraße 252, in dem jetzt noch Büros an mehrere Firmen vermietet sind, soll eine große neue Aldi-Filiale einziehen. Auf dem Dach entstehen außerdem noch voraussichtlich 34 neue Wohnungen. Entlang des angrenzenden Feuerwehrgebäudes sowie nördlich des Bestandgebäudes wird eine unberührte Grünflache, auf der derzeit Wildtiere wie Uhus, Käuze und Fledermäuse leben, 47 Stellplätzen weichen. Eine große Schallschutzwand um die Gewerbefläche soll zur Abgrenzung außerdem noch gezogen werden.

Weitläufige Parkanlagen bestimmen das typische Erscheinungsbild des Hamburger Westens
Weitläufige Parkanlagen bestimmen das typische Erscheinungsbild des Hamburger Westens
Blick vom dicht bebauten Treppenviertel  
Blick vom dicht bebauten Treppenviertel  

All dies ist für Anwohnerin Sylvia Runge eine indiskutable Planung: „Das nehmen wir hier alle so nicht hin! Wir brauchen hier außerdem keinen Aldi-Markt, wir haben Nahversorgung genug.“ Ihr Haus in der Alten Sülldorfer Landstraße, das sich seit den 20er Jahren im Familienbesitz befindet, grenzt an die Rückseite des besagten Gewerbegebäudes. Da Runges Haus und die Nachbargrundstücke stark abfallen, würde ihr der hochhausartige Dachaufbau für die Wohnungen viel Licht auf ihrem Grundstück nehmen. Durch die Schallschutzmauer, die entlang ihrer Grundstücksgrenze verlaufen würde, wäre nach Runges Aussage ihr Garten zudem nur noch ein abgeschotteter Betonbunker mit Blick auf eine sich auftürmende, graue Wand.

Da nach dortigen Bebauungsplänen Gewerbegrundstücke nur höchstens drei Wohnungen neben der Gewerbefläche enthalten dürfen, hat auch in diesem Fall das höherrangige Recht Vorzug bekommen, da deutlich mehr Wohnungen geplant sind. Wann und ob das Aldi-Projekt tatsächlich realisiert wird wie geplant, steht noch offen, da es zu immer neuen Planungsänderungen kommt. Die Letzte erst im Dezember.

„Durch eine übertriebene Bebauung werden die Elbvororte kaputt gebaut.“
Prachtbauten wie das Strand Hotel sind Teil der Kulturlandschaft
Prachtbauten wie das Strand Hotel sind Teil der Kulturlandschaft
Sylvia Runge und 15 weitere Eigentümer haben gegen die geplante Bebauung beim Bauausschuss des Bezirksamtes Altona Widerspruch eingelegt. Neben einer Wertminderung ihrer Grundstücke aufgrund der Vollbeschattung befürchten die Anwohner auch eine zunehmende Lärm- und Lichtbelästigung, da Aldimärkte wochentags sowie samstags bis 21 Uhr geöffnet haben. Häufiger Lieferverkehr und womöglich vermehrtes Verkehrsaufkommen in der Durchfahrtsstraße Rissener Busch missfällt den dortigen Bewohnern ebenfalls.

Da der Bauboom in naher Zukunft nicht weniger wird, sind immer mehr Anwohner mit der Verdichtung Hamburgs konfrontiert. Sehen die Elbvorortler diese Situation vielleicht auch zu dramatisch? Zerstört ein Mehrfamilienhaus inmitten von Villen wirklich das Stadtbild? Oder macht es die Anzahl der Wohnhäuser? Neuer Wohnraum muss in einer wachsenden Stadt wie Hamburg nun mal geschaffen werden. Doch ist dies wirklich nur zulasten der Kulturlandschaft möglich?

Die Hamburger FDP steht auf der Seite der Anwohnerinitiative von Frank Neubauer und setzt sich für den Erhalt der Wohnkultur ein. SPD und Grüne unterstützen die Bauvorhaben und Verdichtung mit Mehrfamilienhäusern. Ihnen ist an weiterem Wohnraum gelegen.

Der FDP-Bezirksvorsitzende für Altona Lorenz Flemming, hält die Stadtpolitik des Hamburger Westens für nicht angemessen: „Der Hamburger Westen soll besiedelt werden wie verrückt und andere Stadtteile werden geschützt. Durch eine übertriebene Bebauung werden die Elbvororte kaputt gebaut.“ Gegen Bebauung sei grundsätzlich nichts einzuwenden, man müsse sich nur an geltende Bebauungspläne halten. „Die zum Teil starke Verbilligung der Wohnungen soll außerdem für Veränderungen der sozialen Schichten führen. Die soziale Umschichtung in Hamburg passiert durch die SPD ganz bewusst.“ Dadurch werde die Kulturlandschaft besonders in den Elbvororten immer weiter zerstört. Doch kulturbezogene Einwände von Anwohnern hätten meist wenig Gewicht: „Der Wohnungsbau erschlägt alle Argumente.“

Flemming ist außerdem der Auffassung, dass der Bauboom seit 2011 unbegründet sei: „Hamburg wächst nicht so rasant, wie Wohnungen geplant und gebaut werden. Es bringt niemandem etwas, wenn am Ende Wohnungen leer stehen und sich kein Stadtteil mehr baulich von einander unterscheidet.“ Die FDP Altona stellte einen Antrag in der Bezirksversammlung. Sie will damit besonders ein Mitspracherecht der durch die Bebauungen betroffenen Anwohner erwirken.

Überfluss an Wohnraum mag auf die Elbvororte zutreffen, doch in anderen Stadtteilen wie Ottensen wird so sehr nach Wohnungen gesucht, dass das Bezirksamt sogar dazu aufruft, leer stehende Wohnungen zu melden.

Einigkeit kann in den Elbvororten scheinbar nur ein Kompromiss bringen, der darin besteht, dass beide Parteien öffentlich verhandeln. Ausnahmegenehmigungen ohne die Öffentlichkeit sind da kontraproduktiv. Ein Anfang dafür war die öffentliche Bezirksversammlung am 26. Januar im Altonaer Rathaus. Frank Neubauer freute sich darüber, dass es „überhaupt mal zu einer öffentlichen Sitzung kam, um Anträge zu stellen“.

„Am Ende zählt doch immer nur, wer derjenige ist, der einen Antrag einreicht“, sagt Sylvia Runge aus Rissen dagegen resigniert. „Einfache Anwohner aus dem Dorf haben im Gegensatz zu großen Konzernen doch keine Chance.“

Autorin: louisa.heyder(at)kloenschnack.de 

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