2. Januar 2017
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Teilchenbeschleuniger direkt unter uns

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PHYSIK

Teilchenbeschleuniger direkt unter uns

Deutsches Elektronen-Synchrotron

Der Aufwand ist gigantisch, der Gegenstand winzig. Im Deutschen Elektronen-Synchrotron geht ein Heer aus Wissenschaftlern der Frage nach dem Innersten der Materie nach. Für wen und mit welchem Nutzen?

FOTO: DESY 2015
FOTO: DESY 2015
Sie geben pro Jahr 230 Millionen Euro aus und niemand versteht wofür. So lässt sich, zugespitzt, das PR-Dilemma schildern, vor dem eine der größten Forschungsanstalten der Welt immer wieder steht. Das Deutsche Elektronen Synchrotron gleicht von seiner Größe her einer Kleinstadt mit nicht weniger als 2.300 Einwohnern; sein größter Beschleuniger „unterkellert“ den gesamten Altonaer Volkspark. Das DESY ist damit eines der bedeutenden Zentren der Grundlagenforschung auf diesem schönen Planeten und dennoch: Würde man einen der zahlreichen Nachbarn fragen, was genau hier vor sich geht, dann wäre die Reaktion wohl nur ein Achselzucken.

Das DESY-Gelände in Bahrenfeld von Norden. Das Forschungsinstitut hat die Abmessungen einer kleinen Stadt und ist eines der bedeutendsten Beschleunigerzentren weltweit
Das DESY-Gelände in Bahrenfeld von Norden. Das Forschungsinstitut hat die Abmessungen einer kleinen Stadt und ist eines der bedeutendsten Beschleunigerzentren weltweit
Tatsächlich überfordern die theoretischen Grundlagen den Laien. Die grundlegenden Konzepte, nach denen hier geforscht wird, sind jedoch einfacher als gedacht.

Da ist zunächst die Teilchenphysik. Diese Disziplin kreist um nicht weniger als die Frage nach den Bausteinen unserer Welt. Diese Frage wurde bereits von griechischen Philosophen wie Demokrit gestellt und hypothetisch beantwortet („Atome“), später von naturwissenschaftlich interessierten Dichtern wie Goethe erörtert („… was die Welt im Innersten zusammenhält …“).
                               
Während sich Philosoph und Dichter auf Überlegungen beschränken mussten, steht heute Technik zur Verfügung – in einem kuriosen Verhältnis: Teilchen sind unvorstellbar klein, das Untersuchungsinstrument ist gigantisch: Beschleuniger.

„Was die Welt im Innersten zusammenhält …“

Aber warum überhaupt beschleunigen? Ließe sich das Kleine nicht besser betrachten, wenn es stillhält? Ein Trugschluss. Stillstand gibt keinerlei Aufschluss über wirkende Kräfte. Teilchenbeschleuniger erzeugen eine Art neugierige Extremsituation. Wer die Einzelteile eines Gegenstandes betrachten will, der kommt manchmal nicht umhin, ihn zu zertrümmern. Ähnliches passiert in den großen Ringbeschleunigern des DESY. Teilchen werden auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und kollidieren miteinander:

1959: Bundesminister für Atomfragen Siegfried Balke (l.) und Hamburgs Bürgermeister Max Brauer unterzeichnen den Staatsvertrag zur Gründung des DESY
1959: Bundesminister für Atomfragen Siegfried Balke (l.) und Hamburgs Bürgermeister Max Brauer unterzeichnen den Staatsvertrag zur Gründung des DESY
Eine Art Crash-Test mit den kleinsten Bauteilen unserer Erde. Untersucht werden nun nicht nur die Teilchen selbst, sondern auch die auftretenden Kräfte. Pure Grundlagenforschung, deren Ziel noch nicht die industrielle Anwendung der Erkenntnisse ist, sondern vielmehr das vollständige Verstehen grundlegender Mechanismen.

Die sperrigen Namen der einzelnen DESY-Beschleuniger geben Auskunft darüber, was hier wie beschleunigt wird: Elektronen, Photonen, Positronen und so weiter. Der Beschleuniger PETRA etwa heißt ausgeschrieben Positron-Elektron-Tandem-Ring-Anlage und dementsprechend werden hier Positronen und Elektronen auf Tempo gebracht.

Die Ringform der meisten Beschleuniger ist übrigens weniger physikalisch als wirtschaftlich motiviert. Ein schnurgerader Beschleuniger wäre technisch möglich, aber ebenso aufwendig, lang und teuer, wie eine schnurgerade Formel-1-Rennstrecke. Im Ring kann ein Teilchen ein und denselben Beschleuniger mehrfach passieren und seine Energie entsprechend mehrfach nutzen. Die Größe der Ringe ist der Leistung geschuldet. Grob gesprochen: Je länger, desto mehr Beschleuniger, desto schneller das Teilchen, desto extremer die Bedingungen, desto tiefer der Einblick in die Gesetzmäßigkeiten der Teilchen.

Karla Fricke

Die Ringform macht jedoch eine Steuerung nötig. Dies geschieht durch Ablenkmagneten. Diese senden eine elektromagnetische Strahlung an das vorbeifliegende Teilchen aus und zwingen es so in eine Kreisbahn. Diese Strahlung wird als Synchrotronstrahlung bezeichnet und sie findet sich daher auch in der Bezeichnung DESY wieder.


Synchrotronstrahlung wird zum Supermikroskop

Neben der Beschäftigung mit Teilchen und den zugehörigen Beschleunigern steht die Forschung rund um Photonen. Während die meisten Laien Elektronen, Neutronen und Protonen korrekt als Bestandteile eines Atoms bennen können, herrscht bei Photonen häufiger Ratlosigkeit. Tatsächlich sind es nicht mehr als die Bausteine elektromagnetischer Wellen. Radiowellen, Röntgenstrahlung, sichtbares Licht – all diese Wellen bestehen aus Photonen. Photonen sind der Schlüssel zur Sichtbarkeit kleinster Verhältnisse. Das menschliche Auge kann naturgemäß lediglich Reflexionen des Lichts erkennen. Wenn nun ein Gegenstand kleiner ist als die Lichtwellen, dann ist er nicht beobachtbar. Daran ändern auch rein optische Hilfsmittel nichts. Röntgenstrahlung unterliegt derselben Beschränkung: Auch sie verläuft in Wellen und kann daher nur Einblicke innerhalb dieser Dimensionierung gewähren.

Blick entlang des Speicherrings PETRA III mit Ablenkmagneten (blau), Fokussiermagneten (rot) und Undulatoren (gelb) im Bereich der Experimentierhalle FOTO: DESY 2009
Blick entlang des Speicherrings PETRA III mit Ablenkmagneten (blau), Fokussiermagneten (rot) und Undulatoren (gelb) im Bereich der Experimentierhalle FOTO: DESY 2009
Auch das Gammateleskop in Berlin-Adlershof basiert auf DESY-Forschung
Auch das Gammateleskop in Berlin-Adlershof basiert auf DESY-Forschung
Diese Sichtbarkeitsbeschränkung lässt sich mittels Synchrotronstrahlung umgehen. Ursprünglich diente sie, wie erwähnt, nur dazu, Elektronen im Beschleuniger auf Kurs zu halten. Ihre elektromagnetische Strahlung zwingt das Elektron in die Kreisbahn. Bereits in den 60er Jahren entdeckten Forscher, auch am DESY, dass derart beschleunigte Elektronen eine besonders intensive Röntgenstrahlung ausstrahlen. Diese Strahlung lässt sich, ähnlich einem Laserstrahl, besonders gut auf einen winzigen Punkt konzentrieren und ermöglicht so Einblicke, die ein „normales“ Röntgenbild nicht liefern kann. Um den Fortschritt hier zu verdeutlichen: Die meisten Menschen haben die berühmte Röntgenaufnahme der Hand Albert von Koellikers in einem Schulbuch gesehen, aufgenommen von Conrad Röntgen 1896. Man sieht Fingerknochen, einen Ring, verwaschene Konturen. Die Röntgenlaser des DESY werden in naher Zukunft schärfere Bilder liefern: zum Beispiel von den chemischen Reaktionen einzelner Atome. In 3D. Aus dem reinen „Werkzeug“ der Synchrotronstrahlung ist so ein eigenständiges Untersuchungsinstrument geworden. Die Welt der Photonen wird erschlossen und ermöglicht eine vor wenigen Jahrzehnten noch unvorstellbare Miniaturisierung – auch in der Industrie.

Feierstimmung: Das letzte Beschleunigermodul wurde am 1.8.2016 in den Röntgenlaser XFEL eingebaut. Die Anlage wurde in einem DESY-Tunnel errichtet, um mittels Teilchenbeschleunigung Röntgenblitze zu erzeugen. Die Anlage soll 2017 in Betrieb gehen, als eine der stärksten Röntgenquellen weltweit
Feierstimmung: Das letzte Beschleunigermodul wurde am 1.8.2016 in den Röntgenlaser XFEL eingebaut. Die Anlage wurde in einem DESY-Tunnel errichtet, um mittels Teilchenbeschleunigung Röntgenblitze zu erzeugen. Die Anlage soll 2017 in Betrieb gehen, als eine der stärksten Röntgenquellen weltweit

Die industrielle Verwertung der Forschungsergebnisse stehen in Bahrenfeld jedoch nicht an erster Stelle. Prof. Albrecht Wagner, ehemaliger Leiter der Einrichtung, brachte es bereits 2004 auf den Punkt: „Grundlagenforschung bleibt nie ohne Folgen. Niemand hat Max Planck gefragt, wozu seine Überlegungen zur Quantisierung von Energie nützlich sind. Heute, hundert Jahre später, hängen fünfundzwanzig Prozent des Bruttosozialprodukts mit der Quantenphysik zusammen. Alles, was heutzutage auf Halbleitern basiert, ist ein quantenmechanischer Prozess.“

Tatsächlich profitieren Industrie und die nachgelagerte Wissenschaft bereits heute erheblich von der Arbeit des DESY.

Verbesserte Röntgenverfahren sind in der Medizin von Nutzen. So wurde bereits 1985 die Mikrostruktur einzelner Viren aufgeklärt. DESY- Erkenntisse führten auch in der Materialtechnik zu Verbesserungen. So ließ etwa der Hersteller Osram Glühdrähte mittels Synchrotronstrahlung untersuchen und verbessern. Untersucht wurden darüberhinaus Computerchips, Katalysatoren und einzelne Moleküle.

Im ehemaligen Labor für Hochenergiephysik der DDR, in Zeuthen, befindet sich heute der kleinere Standort des DESY
Im ehemaligen Labor für Hochenergiephysik der DDR, in Zeuthen, befindet sich heute der kleinere Standort des DESY
Eine vom Teilchendetektor CMS im Jahr 2012 aufgezeichnete Proton-Proton-Kollision. Das Ereignis zeigt die charakteristischen Merkmale eines zerfallenen Higgs-Teilchens mit zwei Photonen (gestrichelte gelbe Linien und grüne Blöcke) FOTO: CERN
Eine vom Teilchendetektor CMS im Jahr 2012 aufgezeichnete Proton-Proton-Kollision. Das Ereignis zeigt die charakteristischen Merkmale eines zerfallenen Higgs-Teilchens mit zwei Photonen (gestrichelte gelbe Linien und grüne Blöcke) FOTO: CERN
Die Existenzberechtigung des DESY gilt daher nicht nur Wissenschaftlern als unstrittig. Im November 2016 billigte der Bundestag allein 30 Mio. Euro Sondermittel für die Modernisierung von Gebäuden und Infrastruktur der Anlage. Der Akzeptanz nicht gerade abträglich ist auch die Offenheit, mit der das DESY selbst über seine Arbeit informiert. Immer wieder gibt es Termine und Veranstaltungen auch für Besucher. Ein Blick auf die Homepage lohnt sich.

Autor: tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de

www.desy.de

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