2. Februar 2018
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Schwere Zeiten

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ARBEITSMARKT

Schwere Zeiten

Handwerk und Gastronomie im Notstand – Kein Personal in Sicht

FOTO: JACKF_FOTOLIA.COM
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Der Mangel an fachkundigem Personal ist in Deutschland schon seit Jahren ein Problem. Besonders in der Gastronomie und in Handwerksberufen gibt es immer weniger qualifizierten Nachwuchs. Wie ist die derzeitige Lage in den Elbvororten? Der KLÖNSCHNACK hat sich umgehört.

Der Sack kommt nicht an!“ Wohl jeder, der mit Handwerkern zu tun hatte, kennt diesen Fluch. Der Heizkörper tropft seit einer Woche, der Termin mit dem Installateur steht ebenso lange („Gleich morgens, gegen sieben!“). Es war nicht einfach, einen Tag Urlaub zu bekommen, aber nun tigert man seit 7.30 Uhr durch die Wohnung und wartet. Wenn die Uhr zwölf zeigt, ist klar: Das wird nix mehr. Griff zum Telefon. Der Installateur meldet sich inmitten von Baustellenlärm und hat keinerlei Ahnung, wovon der Anrufer spricht. Was ist das? Kalkstaubbedingte Demenz? Dreistigkeit? 

Nein. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat da jemand zu viel zu tun. Wenn sich ein übervoller Kalender dann mit einer gewissen Verplantheit paart oder der Weigerung, den Betrieb digital aufzupeppen, dann weiß unser Installateur nicht mehr ansatzweise, wer da weswegen anruft. Die Großbaustelle war dringender als irgendein Heizkörper bei Meier, Müller, Schulze. 

Wer nun vorschlägt, mehr Leute einzustellen, verkennt die Situation: Das Hamburger Handwerk leidet unter Personalmangel, zumindest wenn wir die Stadt als ganzes betrachten. Eine Nachfrage bei der Handwerkskammer bestätigt dies, besonders für einzelne Branchen: Elektro, Sanitär, Heizung. Auch bei den Friseuren sieht es bitter aus. Nahezu jeder Betrieb sucht Gesellen und Auszubildende. 

Auch in den Elbvororten muss man nach Klagen über Fachkräftemangel nicht lange suchen …  
FOTO: ALEXANDER RATHS_FOTOLIA.COM  
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Das Phänomen ist mittlerweile umfangreich untersucht worden und die Ursachen für den Mangel sind bekannt: demografischer Wandel, Akademikergesellschaft, niedrige Löhne, mangelndes Prestige.

Die Überalterung der Gesellschaft trifft das Handwerk, das seinen Nachwuchs traditionell selbst ausbildet, besonders hart. Wenn die für eine Ausbildung relevante Altersgruppe kleiner wird, gibt’s weniger Lehrlinge.

Das Abitur ist in Städten wie Hamburg kein elitärer Abschluss mehr, sondern Standard; der mögliche Zugang zur Universität nahezu selbstverständlich. 

Auch bei den Löhnen sieht sich das Handwerk in Hamburg abgehängt. Die Diskrepanz zwischen handwerklichen und nichthandwerklichen Berufen wird größer, weil Nichthandwerker seit Langem höhere Zuwächse beim Lohn sehen. Ein naturgemäßes Problem: Umsatz, der mit der Arbeitskraft einer Person erzeugt wird, lässt sich nicht beliebig steigern. Der Friseur schneidet pro Stunde maximal drei Köpfe. Werden es mehr, sitzt der Scheitel schief oder es fließt Blut. In einem Handelsbetrieb kann ein einzelner Mitarbeiter hingegen das Vielfache eines gegebenen Umsatzes ranschaffen: mit größerem Kapitaleinsatz, neuen Ideen, Kanälen, Kontakten etc. 

FOTO: AFRICA STUDIO_FOTOLIA.COM  
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Und so kommt es, dass ein Friseur in Hamburg pro Jahr im Durchschnitt rund 1.500 Euro brutto verdient. Richtig gelesen, brutto. Netto bleiben um die 1.100; dafür gibts in Hamburg bald noch eine halbe Mietwohnung. 

Unser Gas-/Wasserinstallateur verdient, Berufserfahrung vorausgesetzt, um die 2.500 Euro brutto und hat dabei einen schönen Knochenjob mit all den körperlichen Folgen. (Wobei die exzellenten Möglichkeit zur Schwarzarbeit bei beiden Berufen nicht unerwähnt bleiben soll. Kaum ein Friseur, der nicht schon Nachbarn und Bekannten auf dem Küchenstuhl die Haare geschnitten hat.)

Soweit die „Großwetterlage“, nun der Blick ins Lokale. Auch in den Elbvororten muss man nach Klagen über Fachkräftemangel nicht lange suchen. Der Kontaktversuch mit Heidecke Elektroinstallation aus Rissen erzeugt eine einzige Antwort-Mail: „Wir haben unseren Betrieb aufgrund des Fachkräftemangels zum 31.12.17 eingestellt.“ Auch Axel Zach, Geschäftsführer bei Wohlers Sanitärtechnik u. Klempnerei in Blankenese ist mit der Situation nicht glücklich:

„Wir merken den Fachkräftemangel ganz deutlich. Wir erhalten kaum noch oder gar keine Bewerbungen mehr.“  
FOTO: CONTRASTWERKSTATT_FOTOLIA.COM 
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„Wir merken den Personalmangel sowohl bei Azubis als auch Gesellen. Wir haben seit über einem Jahr eine Stellenanzeige offen und es kommen keine Bewerbungen. Auch nicht über die Verlinkung des Jobcenters. Die jungen Leute wollen alle lieber studieren. Sie wollen keine Ausbildung machen, bei der man sich auch mal schmutzig macht. Auch hat das Handwerk in der Gesellschaft einen wenig attraktiven Ruf.“

Die Folge sind längere Wartezeiten für die Kunden. Die witzeln schon, dass die Terminvergabe beim Klempner mittlerweile ähnlich abläuft wie beim Facharzt.

Ähnliches berichtet Burhan Akdeniz, Schuhmacher und Inhaber von Footwark in Blankenese: „Um einen Mitarbeiter zu finden, habe ich überall inseriert und beim Arbeitsamt angefragt, aber kaum jemand hat sich gemeldet. Und wenn doch, waren es Fachkräfte, die keine Leistung gebracht haben. Auch Auszubildende springen schnell wieder ab, weil ihnen die Arbeit zu anstrengend ist für die eher geringe Bezahlung.“ 

Burhan Akdeniz, Schuhmacher: „Mein Handwerk ist ein aussterbender Beruf. Auszubildende springen schnell wieder ab, weil ihnen die Arbeit zu anstrengend ist für die eher geringe Bezahlung.“
Burhan Akdeniz, Schuhmacher: „Mein Handwerk ist ein aussterbender Beruf. Auszubildende springen schnell wieder ab, weil ihnen die Arbeit zu anstrengend ist für die eher geringe Bezahlung.“
Aber es gibt auch „Ausreißer“. Frank Militzer, Juniorchef der gleichnamigen Tischlerei stellt fest: „Wir haben keine Probleme, Stellen zu besetzen. Wir mussten das letzte Mal nicht mal eine Anzeige schalten, sondern haben einfach ein großes Schild aufgehängt. Wenig später hatten wir mehrere Bewerber.“

Wenn Militzers Erfahrung die Ausnahme ist, und danach sieht es aus, dann werden sich die Kunden im Hamburger Westen an langfristige Termine gewöhnen müssen. Die oben erwähnten Gründe für den Fachkräftemangel werden sich nicht auflösen.

Vor diesem Hintergrund wäre ein Anstieg der Preise die logische Folge. Ein knappes Gut wird in einer freien Wirtschaft teurer – theoretisch. Wenn sich eine Monteursstunde von beispielsweise 60 auf 90 Euro verteuerte, dann würde das die Knappheit widerspiegeln – aber akzeptieren die Kunden solche Preise? Die Gefahr ist groß, dass zum einen der Anteil der Schwarzarbeit steigt (befördert auch durch günstige Anbieter aus dem europäischen Ausland) oder die Menschen nach Möglichkeit selbst wieder zu Hammer und Zange greifen.

Axel Zach, Alfred Wohlers: „Die jungen Leute wollen lieber studieren. Sie wollen keine Ausbildung, bei der man sich auch mal die Hände schmutzig macht.“ 
Axel Zach, Alfred Wohlers: „Die jungen Leute wollen lieber studieren. Sie wollen keine Ausbildung, bei der man sich auch mal die Hände schmutzig macht.“ 
Der Fachkräftemangel im Handwerk könnte so letztlich wieder zu steigendem Renommee handwerklicher Fähigkeiten führen. Wer imstande ist, im heimischen Haushalt eine wochenlange Wartezeit mit ein paar Handbewegungen zu beenden und eine dreistellige Rechnung abzuwenden, dem dürfte Lob und Dankbarkeit sicher sein.

Neben dem Handwerk kommen Klagen auch und besonders aus der Gastronomie. Hier gibt es wohl kaum noch einen Betrieb, der nicht sucht. Immer wieder sieht man gerade auf Außenflächen das Schild „Selbstbedienung“. Und auch asymmetrisch gepiercte und mit Runen tätowierte Servicekräfte machen deutlich: Mittlerweile wird jeder genommen, der annähernd humanoid wirkt. Wer da auf die Créme der Kellner angewiesen ist, hat es schwer. So heißt es zum Beispiel aus dem Hygge in Flottbek: „Wir merken den Fachkräftemangel ganz deutlich. Wir erhalten kaum noch oder gar keine Bewerbungen mehr auf unsere Ausschreibungen. Früher haben wir den Mangel nur bei den Köchen gehabt, heute auch beim Servicepersonal. Früher konnte man den Besten unter den Bewerbern aussuchen, heute kann man froh sein, wenn sich überhaupt einer bewirbt.“ 

Auch Margarete Hauser, Ehefrau von Süllberg-Chef Karlheinz Hauser, stimmt ein und erklärt: „Es gibt mittlerweile einfach zu viele Hotels. Auch Kreuzfahrtschiffe suchen immer mehr Personal. Die Arbeitszeiten abends, an Sonn- und Feiertagen sind auch nicht jedermanns Sache.“ 

Hin und wieder wird nun der Ruf nach Flüchtlingen laut – sie könnten eine willkommene Verstärkung im Handwerk und in der Gastronomie sein. 
Das Hygge in Flottbek, lässig und anspruchsvoll. Nur noch wenige Bewerbungen für Service und Küche.  
Das Hygge in Flottbek, lässig und anspruchsvoll. Nur noch wenige Bewerbungen für Service und Küche.  
Noch schlimmer sei es in der Provinz. „Hotels weiter auf dem Land finden gar kein Personal mehr.“

Einen weiteren Aspekt gibt Block House-Pressesprecherin Christina Schreiner zu bedenken: Problematisch sei weniger der Mangel an qualifizierten Fachkräften, als der Mangel an geringer qualifizierten Arbeitskräften. „Ein Beispiel ist der Griller in unseren Block House- und Jim Block-Restaurants. Er besetzt eine Schlüsselfunktion, da er einen großen Beitrag zur Qualität unseres Kernprodukts beiträgt. Jedoch ist es wesentlich schwieriger, Menschen für dieses spannende Berufsbild zu begeistern, als noch vor einigen Jahren.“

Während es nun im Handwerk relativ einfach ist, die Ursachen des Personalmangels zu benennen, wird es in der Gastronomie schwieriger. Zum einen könnte es sein, dass Steaks grillen de facto eben kein „spannendes Berufsbild“ ist, sondern einfach ein simpler, anstrengender Job mit wenig Abwechslung, die Branche also weniger zu bieten hat als andere. Hinzu kommen die, gemessen an den Hamburger Lebenshaltungskosten, verheerenden Gehälter. Es gibt nicht wenige Wirte, die sehen in dem seit 2015 geltenden Mindestlohn von 8,84 Euro eine betriebsgefährdende Regulierung. Kritiker der Branche meinen nicht ganz zu Unrecht, dass in solchen Fällen das Geschäftskonzept überdacht werden sollte. 

Margarete Hauser, Süllberg: „Hotels weiter auf dem Land finden gar kein Personal mehr.“ FOTO: CARSTEN GENZ 
Margarete Hauser, Süllberg: „Hotels weiter auf dem Land finden gar kein Personal mehr.“ FOTO: CARSTEN GENZ 
Gerade in Küchen wirkt auch noch immer der teilweise psychopathische Umgangston abschreckend. So berichtet Josef Viehhauser noch heute stolz, dass die Köche, die er am meisten angeschrieen hat, heute die besten sind. Realistischer wäre die Annahme, dass sie trotz Krakeelens ihren Job beherrschen. 

Der Hamburger Koch Stevan Paul berichtete hierzu von einem Schlüsselerlebnis aus seiner Lehrzeit: Koch versucht unliebsame Hilfskraft in einem Spülbecken zu ertränken. Paul schreibt heute Bücher, Artikel, Blogs …

Derartige Anekdoten sind branchenintern wohlbekannt und mittlerweile wird darauf reagiert. Alle für diesen Artikel angesprochenen Gastronomen (und auch die Handwerker) betonen die Wichtigkeit, gute Leute zu halten und dabei auch Zugeständnisse zu machen.

Heinz Wehmann, Patron im Landhaus Scherrer, etwa setzt verstärkt auf ein gutes Betriebsklima und angenehmere Arbeitszeiten. Gearbeitet werde in zwei oder sogar drei Schichten, sodass man auch nach mehreren Berufsjahren seine Kinder noch erkennt. Auch Möglichkeiten zur Fortbildung müssten sein. Der etwas tumbe Koch, der Tag und Nacht den Löffel schwingt, sei ein Klischee. 

Fazit Wehmann: „Die jungen Leute muss man heutzutage einfach anders behandeln.“ 

In der Gastronomie sind nicht nur Fachkräfte knapp; auch ungelernte Kräfte sind stark gesucht. FOTO: BEATE ZOELLNER 
In der Gastronomie sind nicht nur Fachkräfte knapp; auch ungelernte Kräfte sind stark gesucht. FOTO: BEATE ZOELLNER 
Hin und wieder wird auch der Ruf nach Flüchtlingen laut, die eine willkommene Verstärkung im Handwerk und in der Gastronomie sein könnten. Eine wachsende Nachfrage der Betriebe bestätigt auch die Handwerkskammer. Allerdings: Der binnen Kurzem kompetent arbeitende Syrer ist kein Selbstgänger, sondern ein normaler Mensch, mit Vorlieben und Abneigungen. Er kann ebenso bequem und stur werden wie sein deutsches Pendant und hat mittlerweile, Sprachkenntnisse vorausgesetzt, auch eine gewisse Auswahl. Nochmal Axel Zach: „Wir hatten kürzlich einen Flüchtling angestellt, der aber schon nach zwei Monaten wieder von sich aus aufgehört hat, weil ihm die Arbeit zu anstregend war. Wir haben allerdings auch positive Beispiele wie einen spanischen Azubi, der jetzt auch Geselle wird, oder einen südkoreanischen Mitarbeiter. Deutsche Auszubildende kommen kaum noch.“

Heinz Wehmann, Landhaus Scherrer: „Die jungen Leute muss man heutzutage anders behandeln.“
Heinz Wehmann, Landhaus Scherrer: „Die jungen Leute muss man heutzutage anders behandeln.“
Einzelne Branchenvertreter verfallen nun in Klagen über die nachlassende Ausbildungsfähigkeit der Hamburger Jugend generell. Die Handwerkskammer möchte hier aber nicht einstimmen, sondern relativiert: Azubis seien heute nicht schlechter als damals, sondern anders. Die Art der Qualifikationen habe sich geändert, auch aufgrund anderer Lehrinhalte an Schulen. Stures Kopfrechnen sei da weniger gefragt als vernetztes Denken. Beide Seiten – Schulabgänger und Ausbilder – müssten ihre Ansprüche überdenken.

Der Gast und Kunde darf hoffen, dass das gelingt. So mancher Branchenkenner hat nämlich seine Zweifel. So heißt es aus dem Hygge, der derzeitige Personalmangel sei „erst der Anfang. Das wird sich noch zuspitzen.“

Auch auf dem Süllberg ist man sich sicher: „Die Situation wird in Zukunft nicht einfacher, sondern eher noch schwieriger.“

Autoren:
tim.holzhaeuser(at)kloenschnack.de
louisa.heyder(at)kloenschnack.de

www.hwk-hamburg.de

6. Autotage Hamburg

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