3. August 2015
Magazin

Konzepte. Mieten. Lage.

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EINZELHANDEL 

Konzepte. Mieten. Lage. 

Des Einzelhandels Zukunft: 

„Zu vermieten“, „Wir schließen“, „Räumungsverkauf“ – dem Einzelhandel geht es nicht besonders. Leerstehende Läden verunsichern auch die Kunden. Bummeln und Shoppen gehören zur Lebensqualität, doch Pleiten und Pech im Einzelhandel sind an der Tagesordnung. Zu hohe Mieten, das Internet und falsche Konzepte sind die Ursachen für Ladensterben und Leerstand.

Ob Touristen, vom S-Bahnhof Blankenese kommend, gen Treppenviertel strebend, sich den in Reiseführern so pittoresk beschriebenen Elbvorort so vorgestellt haben? Leerstehende Büros schon rund um den Bahnhofsausgang, Handwerker machen sich an einem demnächst eröffnenden Gasthaus („Streetfood“, Seafood“) nützlich. Wenig später großformatige Schilder, die darauf hinweisen, dass diese Geschäfte zu mieten sind. „Noch nie zuvor gab es in Blankenese so viele leer stehende Geschäfte“, ärgert sich Catharina Stenzel, die in Blankenese lebt und in der Buchhandlung Kortes an der Elbchaussee arbeitet.
Zu jedem Laden gehört eine Geschichte. Manchmal die des Scheiterns. Gründe hierfür gibt es ganz unterschiedliche. Grund Nummer 1: Das falsche Konzept.
Gleich am Eingang der Blankeneser Geschäftsstraße das erste leerstehnede Geschäft. Unter dem ambitionierten Namen „Wohlfühlkunst“ hatte hier im Juli 2013 ein „völlig neuartiges Einzelhandelskonzept“ „Nightwear-, Homewear- sowie Swim- und Beachwear-Kollektionen“ präsentiert. Angekündigt wurden damals eine Spielecke und ein „Wohlfühl-Café“ mit „fair gehandeltem Kaffee“. Mit üppig gebrauchten Anglizismen und bestenfalls ästhetisch mittelmäßig gestalteten Plünnen konnten die Kunden des Hamburger Westens nicht begeistert werden. Zu den regelmäßig gesehenen Besuchern zählte später ein Bürgernaher Beamter, der zum Plausch mit der Geschäftsführerin vorbeischaute.
Hawe Jaeger von Jaeger und Dancker, Nienstedtener Straße
Hawe Jaeger von Jaeger und Dancker, Nienstedtener Straße
Galeristen Michael Götze und Rolf Krieger, Blankeneser Bahnhofstraße
Galeristen Michael Götze und Rolf Krieger, Blankeneser Bahnhofstraße
Bauzaun an der Blankeneser Bahnhofstraße
Bauzaun an der Blankeneser Bahnhofstraße
Von den zursprünglich wei Angestellten wurde eine entlassen. Und als in der Endphase der Laden eines Abends überfallen wurde, protokollierte die Polizei den Raub von 100 Euro. Wenig später war Schluss mit dem „neuartigen Einkaufserlebnis“. Zu lange hatten Nachthemden und Strandklamotten auf den Bügeln gehangen.
Grund Nummer 2 für lang leerstehende Geschäfte: Die Fläche ist zu groß, lässt sich daher nur schwer vermieten. Beispiele hierfür finden sich am südlichen Ende der Blankeneser Bahnhofstraße. Ein Schuhgeschäft, die Klebstoffe der ästhetisch fragwürdigen Botten waren bis auf die Straße zu riechen, räumte kürzlich die Regale leer. Ein Delikatessengeschäft packte bereits Ostern 2014 ein. Beides Geschäfte mit großer Quadratmeterzahl. Für das ehemalige Schuhgeschäft gehen ab August als Zwischennutzer zwei Künstler mit Fotografien an den Start. „Bis sich ein neuer Mieter für die 220 Quadratmeter findet, eröffne ich zusammen mit Michael Götze eine Galerie für Fotografie“, so der Treppenviertelbewohner Rolf Krieger. Ein Beispiel, wie Vermieter mit sich über den Mietpreis reden lassen, bevor der Laden monatelang leer steht.
Bevor es um eine Besonderheit in Blankenese geht, eine jahrelange brachliegende Fläche, ein Blick in den benachbarten Stadtteil Rissen. Wie in Blankenese gibt es auch hier noch viele inhabergeführte Läden. Neben einem Teeladen lädt ein Café mit dem anheimelnden Namen „Elbglück“ zum Schnack ein. Im „Döner Pavilion“ werden zum Mittag Königsberger Klopse und Weißkohleintopf gereicht. Eine kleine Idylle, die Kettenläden wie „Backhus“ oder Edeka locker verkraftet. Leere Läden fallen hier nicht ganz so auf wie im weiter östlich gelegenen Quartier. So lobt der Quartiersmanager Til Bernstein, zugleich Chef im „Elbglück“, den Branchenmix sowie den geringen Leerstand. Der liege mit sieben Prozent unter dem Hamburger Durchschnitt, so Bernstein.
Die Geschäftsfrau Margit Pröpper kennt sich seit vielen Jahren an der Einkaufsmeile der Rissener aus. „Die jungen Frauen sind alle berufstätig, kommen deshalb seltener.“ Entsprechend habe sich das Angebot ihres Modegeschäftes über die Jahre verändert und richte sich heute eher an die reifere Dame. Insgesamt lobt die Geschäftsfrau den Branchenmix in der Wedeler Landstraße. „Wir haben hier alles, was wir brauchen.“
Beim Thema Branchenmix beklagen viele Elbvorortler die vielen Bäcker, Banken, Makler und Apotheken. Das gilt besonders für die Stadtteile Blankenese und Othmarschen. So gibt es in der Waitzstraße fünf Banken und drei Apotheken. Ganz ähnlich sieht es in der Blankeneser Bahnhofstraße aus. Wobei hier die seit 1974 existierende Süllberg-Apotheke Ende August den Pillenschrank für immer schließt. „Der Mietvertrag läuft aus“, so Apothekerin Antje Rode. Sie könne nur vermuten, dass der Immobilienbesitzer vom Nachmieter mehr Miete verlange. Auch Tchibo verlässt die Blankeneser Bahnhofstraße. Hier wird von einer monatlichen Miete von 5.000 Euro gesprochen. „Diese Mietpreise sind einfach zu hoch“, sagt eine Geschäftsfrau, die namentlich nicht genannt werden möchte. Insgesamt sei der Leerstand eine „Schande für Blankenese“.
Fiori Botticelli vom gleichnamigen Blumengeschäft in der Waitzstraße
Fiori Botticelli vom gleichnamigen Blumengeschäft in der Waitzstraße
Siesta in der Nienstedtener Straße
Siesta in der Nienstedtener Straße
Max Noori – Neustart mit anderem Konzept
Max Noori – Neustart mit anderem Konzept
Das gilt auch seit Jahren für eine prominente Ecke in Blankenese, die besonders von Touristen verwundert zur Kenntnis genommen wird. Das Objekt liegt in bester Lage an der Blankeneser Bahnhofstraße und wird von einem unattraktiven Bauzaun begrenzt. Dahinter wuchern wilde Kräuter, Mauerreste erinnern an das Feinkostgeschäft Geick. Vor rund fünf Jahren wurde das Haus abgerissen. Der Eigentümer, die Familie Quint, zeigt sich seit Jahren hartleibig. Während Oliver Quint, Eigentümer weiterer Immobilien an der Blankeneser Bahnhofstraße, vor Jahren einen Neubau vage ankündigte, ist er heute zu keiner Stellungnahme mehr bereit.
Erst hinter vorgehaltener Hand, inzwischen ganz offen, wird von familiären Gründen gesprochen. Vielen Blankenesern sind die Gründe für die Bauruine inzwischen gleichgültig. So spricht auch Helmut Wichmann, stellvertretender Vorsitzende des Bürgervereins, von einem „Schandfleck für Blankenese“. Es sei nicht hinnehmbar, dass dort nichts geschehe. „Man sollte mal darüber nachdenken, ob der Bezirk hier tätig werden müsste.“ So wie der Altvordere Wichmann verstehen viele Blankeneser nicht, warum Quint keine Auflagen gemacht werden.
„Eigentum verpflichtet, sagte Marc Böhle, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Blankenese und selbst Immobilien- Eigentümer, gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“. Er könne die Bauverzögerungen nicht nachvollziehen. Ein am Bauzaun befestigtes Transparent mit dem Text „Fam. Quint: wie lange muss Blankenese ihr asoziales Verhalten noch ertragen?“, wurde kurzfristig wieder entfernt.
Laut Artikel 14 des Grundgesetzes verpflichtet Eigentum. „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Was dieser Artikel wert ist, zeigt sich auch an anderen Stellen Blankeneses. Für den Passanten kaum einsehbar, liegt zwischen Auguste-Baur-Straße und Blankeneser Bahnhofstraße ein weiteres Quint-Grundstück seit Jahren brach.
In keinem anderen Stadtteil der Elbvororte stehen so viele Geschäfte leer wie in Blankenese. „Butter Lindner“ schloss Ostern 2014. Ein kleiner Computer-Laden machte überraschend dicht und wird sehr vermisst. Die Filiale einer Bäckerei-Kette wurde geschlossen und wird von keinem vermisst, denn der Bäcker Gaues aus Hannover folgte. Zu den prominentesten Schließungen zählt das Mode-Geschäft von Mirja du Mont. Als die Miete erhöht wurde, zog sie nach kurzer Zeit wieder aus. „Manche Vermieter lassen eine Immobilie lieber leer stehen, als die Miete zu senken“, sagt Uwe Paulsen, seit vielen Jahren Facility-Manager an der Einkaufsmeile der Blankeneser.
Doch es gibt auch positive Beispiele. Immer wieder wagen Unternehmer den Sprung in die Selbständigkeit oder es findet sich ein Nachfolger wie etwa im Reformhaus an der Dormienstraße.
Ehemals Ursula Ehrhardt, Othmarschen, Waitzstraße
Ehemals Ursula Ehrhardt, Othmarschen, Waitzstraße
Mutter und Tochter Scharrenweber, vom Textilgeschäft Evelyn Weber, Blankeneser Bahnhofstraße
Mutter und Tochter Scharrenweber, vom Textilgeschäft Evelyn Weber, Blankeneser Bahnhofstraße
Antje Rode, Süllberg-Apotheke, Blankeneser Landstraße
Antje Rode, Süllberg-Apotheke, Blankeneser Landstraße
„Mein Vermieter macht es mir möglich, eine Existenz zu schaffen“, sagt Evelyn Scharrenweber, die im Juli an der Blankeneser Bahnhofstraße 26 das Modegeschäft „Evelyn Weber“ eröffnete. Zuvor arbeitete sie an selber Stelle als Angestellte im Modengeschäft „Mooi“. Nach Geschäften in Eppendorf und Winterhude startet die gebürtige Linzerin nun in Blankenese neu. Ihr Vermieter Rudolf Hoffmann gehört zu jenen Immobilienbesitzern, die ihre Mieter nicht gnadenlos melken. Hoffmann sieht die Situation in Blankenese weniger dramatisch als andere. „Es gibt hier über 100 Geschäfte, wir müssen darauf achten, den Branchenmix zu erhalten.“ Strukturwandel, zu hohe Mieten, Konkurrenz durchs Internet – wie groß der Anteil der unterschiedlichen Einflüsse am Leerstand in Blankenese ist, bleibt spekulativ.
Wer etwa durch die Waitzstraße schlendert, bekommt einen rundum positiven Eindruck. Zwar fallen auch hier die vielen Banken, Bäcker und Makler auf, doch insgesamt stimmt der Branchenmix. „Die Kaufkraft ist da und der Branchenmix stimmt“, sagt Fiori Botticelli, die seit 14 Jahren das gleichnamige Blumengeschäft betreibt. Kritischer betrachtet Thomas Bohne das geschäftige Treiben in der Waitzstraße. Vor gut einem Jahr eröffnete er am Entrée der Waitzstraße den Laden „Hamburger Teezeit“. Ohne Freude zählt er die vielen Makler, Banken und Bäcker. „Es fehlen Geschäfte für Telekommunkation und Kurzwaren“, so Bohne. Zwischen den Zeilen wird spürbar, dass Tee möglicherweise an dieser Stelle nicht ganz so begehrt ist, wie gehofft.
Ähnlich wie „Butter Lindner“ und das seit fünf Jahren brachliegende Grundstück in Blankenese fällt in der Waitzstraße das leerstehende Geschäft „Ursula Ehrhardt“ auf. Monatelang stapelte sich die Post hinter der Tür. „Für eine große bunte Tageszeitung der Stadt war es das „Tuschel-Thema in den Elbvororten“. Was los sei in der berühmten „Edel-Boutique in der Nobelmeile Waitzstraße“, fragte das zu dramatischen Inszenierungen neigende Blatt. Als Grund für den klammheimlichen Abgang von Ursula Ehrhardts Tochter Patricia wurde in der Branche spekuliert. Einige sprachen von schwierigem Generationwechsel und häufig wechselndem Personal. Andere machten das Internet verantwortlich. In der Endphase stand sogar Patricia Erhardts Ehemann im Laden. Der war zuvor als Couturier nicht sonderlich aufgefallen. Fakt war: Das Geschäft Ursula Ehrhardt war insolvent. Leerstehende Läden gibt es in der ganzen- Straße. Nach einem Generationswechsel wird manchmal die Miete drastisch erhöht – der dritte Grund für eine Geschäftsaufgabe.
Häufig sind aber die Kunden und Geschäftsleute mit der Situation rundum zufrieden. So wird in Nienstedten hauptsächlich über den Verkehr genörgelt. Asta Breckwoldt führte in Nienstedten 46 Jahre lang die Parfümerie Wohlers. Im vergangenen Jahr verabschiedete sie sich von ihren Kunden. Noch ist unklar, was aus ihrem Laden wird. „Ich überlege noch, ob ich ihn vermiete.“ Es fehle ihr eine Tankstelle und ein Herrenfachgeschäft, so die langjährige Geschäftsfrau. Optiker Hawe Jaeger schätzt den Branchenmix an der Einkaufsmeile zwischen Elbchaussee und Jürgensallee. Allerdings vermisst er eine richtige Kneipe. Tatsächlich haben in den letzten Jahren mehrere Gaststätten dichtgemacht. Darunter das „Schlag“ und das „Ratsherrn Eck“. Wenn außer Kneipen sonst nichts fehlt, werden Kunden und Geschäftsleute in anderen Quartieren sagen. Andere Stadtteile und ihre Kunden schätzten sich glücklich, wenn sie noch so viele inhabergeführte Geschäfte aufweisen könnten.
Von der Waitzstraße über Nienstedten, Blankenese bis hin zu Rissen, dominieren kleine Fachgeschäfte die Einkaufsstraßen. Damit es so bleibt, müssen die Kunden dort auch einkaufen. Einzelhändler Dirk Dietrich, er führt drei Geschäfte in Eppendorf, Othmarschen und Blankenese, bringt es auf den Punkt. Er erinnere seiner Familie häufiger: „Ihr lebt von kleinen Geschäften, als kauft auch in kleinen ein.
Autor: helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de.
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