7. April 2015
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Bürger wollen mitbestimmen

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BÜRGERINITIATIVEN

Bürger wollen mitbestimmen

Engagement zeigen

Tausende Hamburger sind in Initiativen aktiv und kämpfen für ein gemeinsames Ziel FOTOS: HÄNDE: © ROBERT KNESCHKE-FOTOLIA.COM / BUTTON: © ABCMEDIA-FOTOLIA.COM
Tausende Hamburger sind in Initiativen aktiv und kämpfen für ein gemeinsames Ziel
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Es geht um Lärm, Verkehr, Bauen und Wohnen: Menschen, die sich in ihrem Umfeld bedroht sehen, greifen heute auf das politische Instrument der Bürgerinitiativenbildung zurück – hat sich das bewährt?

Gesittet geht es im Hamburger Westen zu. Denkste! Die Elbvorortler sagen laut und deutlich ihre Meinung. Sie wollen mitbestimmen, gehört werden und Recht bekommen.

Immer mehr Menschen ergreifen Initiative, um auf Probleme in ihren Gemeinden hinzuweisen, überwiegend handelt es sich dabei um Themen wie Bauen, Bildung und Verkehr.

Aber warum fühlen sich viele Menschen dazu berufen, Bürgerinitiativen zu gründen und so die Politik zu beeinflussen?

Kristopher Sell aus Rissen gründete 2012 die Initiative Tinsdaler Kirchenweg Tempo 30 (TKW30), weil der Tinsdaler Kirchenweg immer mehr zur Rennstrecke für Pendler zwischen Rissen und Wedel wird. Der Berufsverkehr weicht damit der überlasteten B431 aus. „Unser Ziel ist eine bauliche Verkehrsberuhigung und Tempo 30. Aufgrund von Lage und Charakter der Straße bietet sich eine fahrradgerechte Umgestaltung mit einer Aufnahme ins geplante Veloroutennetz des neuen rot-grünen Senates nach Kopenhagener Vorbild an“, so der Initiator.

Der Familienvater engagiert sich, „weil der SPD-Senat keinerlei Lösungen für die drängenden Verkehrsprobleme im Hamburger Westen vorlegt. Schlimmer noch: Planungen und Beschlüsse für eine innovative Verkehrslenkung seitens der Bezirkspolitik in Altona werden bislang vom Senat blockiert.“ Weiter sagt er: „Das müssen nun immer mehr Menschen in Rissen, Blankenese und Sülldorf vor ihrer Haustür ausbaden, da sich täglich tausende Pendler von und nach Wedel im Berufsverkehr Schleichwege durch Wohnstraßen suchen. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als in unserer kleinen Straße aufzustehen und selber Tempo 30 und Verkehrsberuhigung zu fordern. Das hat uns Nachbarn zusammengebracht und schlagfertig gemacht.“

Fast 45.000 Unterschriften sammelte die Initiative „G9- Jetzt-HH“ 2013 für die Rückkehr zur G9-Schulform. Das waren allerdings 18.000 Unterschriften zu wenig FOTO: © GRAFIKPLUSFOTO-FOTOLIA.COM
Fast 45.000 Unterschriften sammelte die Initiative „G9- Jetzt-HH“ 2013 für die Rückkehr zur G9-Schulform. Das waren allerdings 18.000 Unterschriften zu wenig
FOTO: © GRAFIKPLUSFOTO-FOTOLIA.COM
Experte Michael Gwosdz (Bündnis 90/Die Grünen Hamburg), ehemaliges Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, kennt die Gründe, warum immer mehr Bürger lieber selber Politik machen und Themen vorantreiben, als Abgeordneten, die oft wenig ausrichten oder keine Ahnung von den Umständen haben, das Ruder zu überlassen. „Eine Bürgerinitiative zu gründen ist ein angemessenes und gutes Mittel, um lokale Anliegen voranzutreiben. Die formalen Wege der Politik werden dadurch gut ergänzt.“ Dabei werden zwei Arten von Initiativen unterscheiden. Gwosdz erläutert: „Es gibt die, die gleich dafür eintreten, für ihre Sache eine Volksabstimmung zu organisieren, und die, die zunächst nur auf ihr Anliegen aufmerksam machen möchten.“

Wer eine Initiative ins Leben ruft, muss sich also vorher genau überlegen, ob das Thema eher die sogenannte „Mikropolitik“ betrifft oder auf eine höhere Ebene (Volksbegehren) gehoben werden kann, weil es die ganze Stadt betrifft.

„Dass ein Thema den kleinen Stadtteil verlässt ist beispielsweise den beiden Initiativen für und gegen IKEA in Altona gelungen. Was mit lautem Protest und zahlreichen Aktionen in Altona-Altstadt begann, wurde schnell ein Thema für den ganzen Bezirk.“ Die Folge: Die Altonaer durften abstimmen, ob IKEA in der Großen Bergstraße bauen darf oder eben nicht. Der Bürgerentscheid fiel zugunsten des Konzernriesen aus – die Wähler waren für den Bau. Die Initiative hatte zwar ihr Ziel der Abstimmung erreicht, aber den Bau haben sie nicht verhindern können.

Die Initiative „Iserbarg - mein Sportplatz“ traf sich zum Flashmob auf dem Platz, um auf ihr Anliegen Aufmerksamkeit zu ziehen FOTO: T. PETRACHE
Die Initiative „Iserbarg – mein Sportplatz“ traf sich zum Flashmob auf dem Platz, um auf ihr Anliegen Aufmerksamkeit zu ziehen FOTO: T. PETRACHE
Anders sieht es mit Mikrothemen, wie einer Tempoveringerung in einer Wohnstraße oder einem Bauplan auf einem Sportplatz in Rissen, aus.

Die Initiativen sorgen hier mit Flashmobs und Protestaktionen für Aufmerksamkeit. Sie laden Bezirkspolitiker zu Gesprächen ein und schlagen Bugwellen für ihre Themen, aber ob sich etwas ändert oder nicht, hängt oft vom Kooperationswillen der Initive und der Politik ab. Der Verein „Mehr Demokratie!“ setzt sich für mehr Mitsprache ein und fordert, dass die Hamburger Bezirke echte kommunale Rechte bekommen. Auch das Zusammenspiel der parlamentarischen und direkten Demokratie soll sich verbessern.

23 Gemeinden mit eigenen Bürgermeistern

Das würde bedeuten, dass es statt 7 Gemeinden 23 gäbe. Die neuen Bezirke würden jeweils einen eigenen Bürgermeister haben, der von den Einwohnern direkt gewählt wird. Jeder Bezirk hätte damit einen eigenen Haushalt. Finanzsc hwächere Bezirke, wie beispielsweise Billstedt, würden dann von Einkommensstärkeren St adtteilen wie Blankenese mitgetragen.

Der Verein setzt sich dafür ein, dass die Hamburger 2017 in einem Volksentscheid bestimmen können, ob sich Hamburg aufteilt.

Experte Michael Gwosdz sagt dazu: „Die Kernidee finde ich richtig, denn die Bezirke haben im Moment kein richtiges Entscheidungsrecht, die Landesebene kann die Bezirksebene immer überstimmen. Die Idee, dass die Bezirke selbstständig bestimmen, finde ich gut – allerdings würde eine komplette Gebietsreform meiner Meinung nach Hamburg lahmlegen. Dass jetzt eine Diskussion über mehr Selbstbestimmung angeregt wird, finde ich wichtig.“

Auch Kristopher Sell von der TKW30-Initiative hegt Sympathie für die Idee von Mehr Demokratie. „Es liegt doch in der Natur der Sache, dass die Bezirkspolitik und Verwaltung nah dran sind an den Problemen vor Ort. Deshalb beschloss die Bezirksversammlung ja in unserem Fall mehrfach Schritte zur Verkehrsberuhigung im Tinsdaler Kirchenweg und umliegenden Straßen. Nichts ist passiert, da der Senat die Beschlüsse des Bezirkes jederzeit aufheben kann. Der Bezirk ist nicht einmal in der Lage, ein Tempo-30-Schild aufzuhängen. Was ist das für eine Entscheidungskultur?“

Der Wunsch nach Selbstbestimmung der Elbvorortler ist also kein reines Bezirksthema, sondern eines, das die ganze Stadt betrifft – na dann kann die Diskussion ja losgehen.

Mein Sportplatz Iserbarg

Thema: Baupläne
Gegründet: 2015
Unterstützer: ca. 130

Eltern und Kinder aus Rissen haben die noch junge Initiative Nachbarschaftsinitiative Iserbarg – mein Sportplatz ins Leben gerufen. Der neue Bebauungsplan Rissen 51 sieht den Bau neuer Wohnungen auf dem letzten Sportplatz westlich des Canyons vor. Für die Initiative sind diese Pläne undenkbar. Die Gründer Katrin Hamann, Dirk Schauer und Sylvia Hollah haben der Stadt alternative Vorschläge vorgelegt. Jetzt heißt es warten.

Kontakt:
iserbargmeinsportplatz@gmx.de

Verkehrsberuhigung

Thema: Verkehr
Gegründet: 2013
Unterstützer: ca. 1.200

40-Tonner raus aus Wohngebieten, so lautet die Aufschrift auf dem Plakat der Bürgerinitiative Verkehrsberuhigung im Hamburger Westen. Ihr Ziel ist es, den länderübergreifenden Verkehr zwischen Schleswig-Holstein und dem Hamburger Westen (B431) zu beruhigen. Die Initiative setzt sich aus 7 Initiativen zusammen. 2013 kam sogar Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer nach Rissen, um sich die Situation vor Ort anzusehen.

Kontakt:

www.verkehrsberuhigungim -hamburgerwesten.de

Elbe-Este-Fähren

Thema: Tourismus
Gegründet: 2014
Unterstützer: 25 Vereine/Verbände

Endlich wieder eine direkte Fährverbindung zwischen Landungsbrücken und Blankenese, dafür tritt die Interessengemeinschaft Elbe-Este-Fähren unter der Leitung von Monika Lühmann ein. Die Gemeinschaft erwartet von der besseren Verbindung viele Vorteile für Pendler, Touristen und Umwelt. Die Initiative sucht derzeit das Gespräch mit den Schiffsbetrieben.

Kontakt:
Monika Lühmann
Telefon 86 34 41

TKW30

Thema: Verkehr
Gegründet: 2012
Unterstützer: ca. 50 – 80

Die Initiative TKW30 gründete sich 2012 und besteht aus vielen Dutzend Haushalten im Tinsdaler Kirchenweg, einer Wohnstraße im Rissener Süden. Immer mehr Pendler zwischen Wedel und Hamburger Innenstadt nutzen die Straße als Schleichweg, um im Berufsverkehr der überlasteten B431 zu entkommen. Ihr Ziel ist eine bauliche Verkehrsberuhigung und Tempo 30.

Kontakt:
kristopher.sell@gmx.de

G9-Jetzt!-HH

Thema: Schule
Gegründet: 2013
Unterstützer: ca. 4.000

Bei G9-Jetzt-HH handelte es sich damals nicht im eigentlichen Sinn um eine Initiative, sondern um den Aufruf zu einem Volksbegehren. Initiatorin Mareile Kirsch tat sich 2013 mit anderen Eltern zusammen, sie forderten Schulsenator Ties Rabe zur Rückkehr zur Schulform G9 auf – und plädierten damit für ein entschleunigtes Lernen. Die Mitstreiter sammelten fast 45.000 Unterschriften, leider fehlten 16.000 Stimmen, um ein Volksbegehren durchzuführen.

Kontakt:

www.g9-jetzt-hh.de

Sülldorf in Not

Thema: Kulturlandschaft
Gegründet: ca. 1990
Unterstützer: zig Bauernhöfe

Der Verein Sülldorf in Not setzt sich für den Erhalt der Kulturlandschaft Rissen- Sülldorf ein. Die Vereinsmitglieder, allesamt Landwirte, sehen durch Baupläne ihre Existenz bedroht. Sie befürchten, dass durch massive Bewirtschaftungsauflagen die Ertragskraft reduziert wird und dass durch enge Bebauung die Wirtschaftsfähigkeit eingeschränkt wird. Im Februar protestierten die Bauern mit einem Traktorkorso vor dem Altonaer Rathaus.

Kontakt:

www.suelldorfinnot.de

Ohne Dach ist Krach

Thema: Lärmschutz
Gegründet: 1994
Unterstützer: ca. 600 bis 800

Die Initiative Ohne Dach ist Krach kämpft seit 20 Jahren für einen Autobahn- Deckel über der A7. An drei Stellen entlang der Autobahn sollen Dächer über der Straße für Lärmschutz sorgen. Denn beim Bau 1968 ist man von 40.000 Fahrzeugen täglich ausgegangen, heute sind es 155.000. Die Initiative hat es weit gebracht, die ersten Maßnahmen haben begonnen. Der Deckel in Othmarschen/Bahrenfeld soll 2019 gebaut werden.

Kontakt:

www.ohnedachistkrach.de

Kein Mega-Kraftwerk

Thema: Energieversorgung
Gegründet: 2012
Unterstützer: ca. 500

2012 rief Kerstin Lueckow Anwohner aus Rissen und Wedel dazu auf, sich ihrer Initiative Stopp! Kein Mega-Kraftwerk Wedel anzuschließen. Vattenfall plant an der Grenze zwischen Rissen und Wedel den Bau eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks – für die umgebenden Nachbarn undenkbar, denn neben Lärmbelästigung bangen die Menschen auch um ihre Gesundheit. Die Anwohner klagen derzeit gegen Vattenfall.

Kontakt:

www.kraftwerk-wedel.de

Autorin: anna-lena.walter(at)kloenschnack.de

http://hh.mehr-demokratie.de/hh_altona1.html

Krüll Premium Cars GmbH
Bleichenhof

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