1. März 2016
Magazin

Zur Kultur gehört das Bewahren

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KOMMENTAR

Zur Kultur gehört das Bewahren

Dirk Justus

Dirk Justus, Nachlassverwalter des Malers Eduard Bargheer, mahnt an die kulturelle Verantwortung – auch in den Elbvororten – und weist auf die Bewussteinserweiterung der geistigen Freiheit hin.

Dirk Justus, Nachlassverwalter des Malers Eduard Bargheer, für den ein eigenes Museum im Jenischpark in Planung ist.
Dirk Justus, Nachlassverwalter des Malers Eduard Bargheer, für den ein eigenes Museum im Jenischpark in Planung ist.
Als ich gefragt wurde, etwas zur Kultur der Elbvororte zu schreiben, musste ich zunächst an eine kleine Geschichte denken, die Almut Heise einmal erzählte. Sie hatte den Auftrag, für das Hamburger Rathaus ein Portrait von Bürgermeister Herbert Weichmann und seiner Frau Elsbeth zu malen. Schon bei den Sitzungen hätte seine Frau immer an ihm herumgezupft. Als das Bild fertig war, meinte sie: „Herbert, ich finde man sieht gar nicht, wieviel Kultur wir haben“.

Auch in den Elbvororten haben wir viel Kultur. Die Frage ist, ob wir uns der Verantwortung bewusst sind, richtig damit umzugehen. Mit Kultur ist es so wie mit dem „Guten“: Es gibt nichts Gutes außer man tut es.

Kultur hat eine immaterielle und eine materielle Seite. Die immaterielle betrifft den Geist, der hinter den sinnlichen Konkretisierungen steht, auch hinter Gewohnheiten, Bräuchen, sittlichen Hemmschwellen usw. Die materielle betrifft unter anderem die überlieferten Werke von Architektur und bildender Kunst. Kultur haben heißt auch, das Überlieferte zu überprüfen und sich das, was uns heute relevant erscheint, anzueignen. Das wäre der eigentliche Sinn von Bildung und Identitätsstiftung. Es geht nicht darum, die Asche anzubeten, sondern die Glut weiterzutragen und immer wieder der Vergeblichkeit zu trotzen.

Alle Welt redet heute über Kultur, über kulturelle Werte, über Leitkultur. Kultur soll es richten, wo Politik versagt, wo eine Illusion nach der anderen platzt. Zum Beispiel, dass das Elend der ganzen Welt an unseren Grenzen halt macht und dass es reicht, wenn unsere Wirtschaft läuft. Bedenkenswert scheint mir in der gegenwärtigen Krise, was Armin Kesser (Schweizer Essayist und Kulturkritiker) einmal gesagt hat: „Es gibt Zeiten, in denen das Bewahren eine revolutionäre Tätigkeit ist“.

Es gibt in unseren Elbvororten viel, was der Bewahrung wert ist. Das Gebiet längs der Elbe zwischen St. Pauli und Wedel ist heterogen. Da ist der urbane östliche Kern, der heute mit seinem bunten Multi-Kulti junge Leute anzieht. Dann sind da die reichen westlichen Vororte mit ihren Elbparks und klassizistischen Herrenhäusern, die zum Teil jetzt kulturell genutzt werden.

Kunst ist Gegenwelt, ist das Reich von geistiger Freiheit, menschlichem Maß und ästhetischer Form.

Im Eingang des Goßlerhauses steht die Statue der Mnemosyne (griechisch: „Erinnerung“). Sie war die Mutter der Musen, die so manchen hiesigen Künstler inspirierte. Das Altonaer Wappen zeigt ein geöffnetes Tor, Symbol der Empfangsbereitschaft für politisch oder religiös Verfolgte, wie zum Beispiel Anfang des 17. Jahrhunderts viele aus Holland geflohene Mennoniten. Im 18. Jahrhundert galt Altona als Zentrum der Aufklärung, der nie abgeschlossenen Bewegung, deren Ziel Humanität und Befreiung von Bevormundung ist. Die Straßen Große und Kleine Freiheit gehörten bis 1938 zu Altona. Die Namen waren Programm. Es ist überliefert, dass Hamburg die benachbarte Stadt Altona früher als sein „Australien“ betrachtete, in das man Aussteiger, Arbeitsscheue, Kriminelle und unliebsame Personen abschob.

Welches andere Bild der Westen. In einer kleinen Schrift „Flottbek in ästhetischer Ansicht“ schrieb Caspar Voght: „Flottbeks Charakter ist heitere Ruhe und frohe Gemüthlichkeit“.

Mit der Gemütlichkeit ist es auch hier wohl vorbei. Aus seinem Ende des 18. Jahrhunderts geschaffenen Mustergut ist der Jenischpark hervorgegangen. Dazu gehören heute das Jenisch Haus und das Ernst Barlach Haus, zu denen sich bald als drittes ein Eduard Bargheer Museum gesellen soll. Auch Voght war ein Kind der Aufklärung, dessen Leitbild für seine „ornamented farm“ die Verbindung des Nützlichen und Schönen war. Er trat auch in der Armenpflege hervor. Seine rationalistischen Ansätze zur Modernisierung der Landwirtschaft einerseits und ästhetische Verklärung der Natur andererseits tragen allerdings den Zwiespalt der „Dialektik der Aufklärung“ in sich.

Kunst und Kultur gehören zusammen. Wie dumpf und eindimensional wäre ein Leben ohne Kunst. Kunst ist Gegenwelt, ist das Reich von geistiger Freiheit, menschlichem Maß und ästhetischer Form. Kunst erweitert unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein. Sie spielt deshalb eine Rolle für ein friedliches Zusammenleben. Keine Kultur wäre auch keine Lösung.

Wie die Kunst so gehört auch die Rhetorik zu unserem Kulturerbe. Demagogie ist Barbarei.

Dirk Justus 

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