1. Dezember 2016
Magazin

„Trumps Wahl ist ein Weckruf“

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INTERVIEW DES MONATS 

„Trumps Wahl ist ein Weckruf“

Sagen Sie mal …
… Dr. Philipp-Christian Wachs, Vorstandschef im Haus Rissen

Was bedeutet die Wahl Donald Trumps für Europa und die bevorstehenden Bundestagswahlen? Antworten gibt der Historiker und Haus-Rissen-Vorstand.

„... Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen“
„… Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen“
Herr Dr. Wachs, wie ordnen Sie als Historiker die jüngsten politischen Ereignisse in den USA ein?

Für mich hat eine der ältesten Demokratien der Welt in einem ganz normalen bewährten Verfahren einen Präsidenten gewählt. Punkt. Das muss man ganz nüchtern und unaufgeregt festhalten. Was dies für uns in Europa bedeutet, das werden wir in den nächsten Monaten sehen. Sicher wird ein Präsident Trump in Teilen anders agieren als ein Wahlkämpfer Trump.

Mit Obama, Trumps Vorgänger, war das ganz ähnlich …

Für die Europäer war Obama in seinem Wahlkampf fast ein Heilsbringer. Seine Bilanz als Präsident ist dagegen innen- wie außenpolitisch durchwachsen und er hat manche Erwartung enttäuscht. Deshalb gilt es auch bei Trump jetzt abzuwarten, bis die schrillen Wahlkampftöne verklungen sind. Jeder amerikanische Präsident muss auch und gerade mit gewissen außenpolitischen Gegebenheiten umgehen. Vielleicht setzt er andere Akzente. Aber die Wahl Trumps bedeutet nicht automatisch den Untergang des Abendlandes.

Manche Reaktionen auf Trumps Wahl waren nahezu hysterisch. Waren die angemessen?

Ich glaube, dass Trumps schrille Rhetorik für uns Europäer fremd klang. Das sorgte in den Medien für eine Haltung der Abneigung, die auch Züge der Überheblichkeit trug. Dies war in Obamas Wahlkampfzeiten umgekehrt: Die öffentliche und veröffentlichte Meinung in Deutschland trug ihn auf Händen, feierte ihn als Heilsbringer und sagte: „Das ist unser Mann“. Er war eine Projektionsfläche für Hoffnung, Liberalität und Modernität.

Sehen Sie mit Trumps Wahl schon konkrete Konsequenzen für Europa?

Seine Wahl ist, ähnlich wie der Brexit, ein Weckruf für Europa. Trump wird mit scharfem Blick darauf gucken, ob das amerikanische Engagement in Europa politisch, finanziell und sicherheitspolitisch von den Europäern anerkannt wird. Anerkennen heißt dabei auch immer, substanzielle, eigene Beiträge zu leisten. Trump wird die Europäer dazu bringen, über ihre eigenen Verteidigungsanstrengungen nachzudenken. Dazu gehört auch die alte Forderung an die Europäer, bis zu 2 Prozent ihres Bruttosozialproduktes für die Verteidigung auszugeben. Nur die Baltischen Staaten erreichen dies zurzeit annähernd. Bei uns ist da mit knapp über einem Prozent noch Luft nach oben.

Sehen Sie auch bei uns diese Trennung, auf der einen Seite die, denen es sehr gut geht, auf der anderen Seite Menschen, die kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen?

Die Wahl von Trump ist strukturell interessant, da ich mir nie hätte vorstellen können, dass in Amerika ein Präsident gewählt wird, der ostentativ große maßgebliche Wählergruppen (wie z.B. Frauen, Schwarze und Hispanics) verprellt. Offenkundig gibt es in den USA eine große Zahl von Menschen, die sich durch die alten politischen Eliten zurückgelassen fühlen. Sie haben Trump gewählt und sich damit auch „gegen Washington“ entschieden. Dies ist auch ein Weckruf an Europa. Nicht nur in unseren Nachbarländern wie Frankreich und den Niederlanden erstarkt die Neue Rechte, sondern auch bei uns gibt es Bewegungen wie Pegida, die AfD und andere. Sie eint, dass sie leben von einem Gefühl, dass die politischen Eliten sie zurückgelassen haben und ihnen nicht zuhören. Bei uns zeigt ein Blick auf die AfD: Das sind nicht alles Extremisten und Nationalsozialisten, sondern vielfach verunsichertes Bürgertum. In Deutschland ist hier ein Vakuum entstanden, das – vor allem, aber nicht nur – eine nach links gerückte CDU hinterlassen hat.

Kann die US-Wahl auch eine Chance für uns bedeuten?

Ja, weil sich Europa darauf besinnen muss, welchen tatsächlichen Mehrwert es für seine Bewohner liefert. Nach dem Brexit forderten viele Köpfe der europäischen Elite in Brüssel, geradezu reflexhaft, mehr Vertiefung. Das wollen aber die Menschen nicht. Sie erwarten von Europa einen realen Mehrwert. Dazu gehört eine höhere Sicherheit an den äußeren Grenzen Europas, mehr innere Sicherheit und ein prosperierender Binnenmarkt. Diesen Mehrwert müssen die Menschen erleben, damit sie von Lissabon bis nach Talinn das Gefühl haben: Es lohnt sich, für Europa einzustehen und zu kämpfen, und wir werden aus Brüssel vernünftig regiert.

Halten Sie das USAWahlergebnis für einen einmaligen Ausrutscher oder kann sich das in Europa fortsetzen?

Ich glaube an die mehr als zweihundert Jahre bewährten amerikanischen Selbstregulierungskräfte der „checks and balances“. Das Pendel schlägt mal zur einen, mal zur anderen Seite aus. Allerdings ist das Land seit der Bush-Administration gespalten wie nie zuvor. Normalerweise waren bei zentralen politischen Fragen die beiden großen Parteien der USA stets dicht beieinander. Seit Bush Junior finden Demokraten und Republikaner kaum noch zusammen. Das wird wohl jetzt auch erstmal so bleiben. Die soziale Spreizung ist auf einem Kontinent wie Amerika nicht nur räumlich oft extremer als bei uns in Europa. Die städtischen Eliten der West und Ostküste haben wenig gemein mit den normalen ländlichen Bevölkerungen etwa des mittleren Westens. Diese Bandbreite politisch unter ein Dach zu bringen, ist gar nicht so einfach. Und es ist für mich nicht ausgemacht, dass Trump eine zweite Amtszeit bekommt.

Die Wahl in Amerika wurde angeblich von alten, weißen, schlecht bezahlten und schlecht gebildeten Männern entschieden. Reichte dieses Potenzial, um die Wahl zu entscheiden oder gibt es noch andere Kräfte?

Donald Trump hat ein Kernwählerpotenzial von älteren weißen Mittelschichtlern und Kleinbürgern angesprochen und mobilisiert. Frau Clinton wurde dagegen von ihren liberalen Kernwählern nicht geschätzt, sie konnte nicht genügend Schwarze, Latinos, Frauen und urbane Wähler mobilisieren. Trumps Engagement hat sich auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt, da viele Wähler meinten, mit ihrer Stimme diesmal etwas zu bewegen – wie einst bei Obama, aber diesmal umgekehrt. Bei Frau Clinton sind viele Menschen, die sie hätten wählen sollen und müssen, schlicht zu Hause geblieben. De facto hatte sie mehr Stimmen als Trump, aber ihre Kernwähler waren nicht mobilisiert und fanden sie schlicht unsympathisch. In Deutschland ist bei den letzten Landtagswahlen die Zahl der Erstwähler u.a. durch die AfD gestiegen, weil die Menschen glauben, so etwas bewegen zu können. Diese Entwicklung kann man nicht ignorieren. Ich bin sehr gespannt, wie die nächste Landtagswahl in SchleswigHolstein und die nächste Bundestagswahl im kommenden Jahr ausgehen.

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Wäre das wirklich so schlimm?

Nein, denn eine politische Rechte ist in vielen unserer europäischen Nachbarstaaten längst politische Realität, mag man es oder nicht. Ich persönlich sehe solche Kräfte und ihre politischen Vertreter bei uns lieber im demokratischen Rampenlicht, damit man sich aktiv mit ihnen auseinandersetzen kann. Im kontroversen Streit um Sachfragen zeigt sich häufig die Dürftigkeit von Argumenten und Personen dieser Kräfte. Dies ist besser, als wenn sie im Untergrund verschwinden. Wenn man die Menschen, die AfD wählen und bei Pegida aktiv sind, nur ignoriert, dann passiert auch das, was wir in Ostdeutschland beobachten: Dann treten irgendwann Reichsbürger und andere Sektierer auf, die gefährlich sind, weil sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen und unterlaufen und dafür im Untergrund Strukturen aufbauen.

„Die einstige Multikulti-Seligkeit hat eben auch dazu geführt, dass wir in Deutschland Parallelgesellschaften haben, in der selbst die dritte Generation von Migranten nicht integriert ist …“

Sehen Sie einen Stimmungswechsel weg vom linken Zeitgeist seit den 60er Jahren?

Ja, ich glaube, die Mentalität der späten Bundesrepublik, die unser Land bis zur deutschen Einheit und darüber hinaus prägte, hat sich allmählich verflüchtigt. Heute ist, beispielsweise, der Blick auf und das Verständnis von Integration und Einwanderung anders als noch in den achtziger Jahren. Die einstige Multikulti-Seligkeit hat eben auch dazu geführt, dass wir in Deutschland Parallelgesellschaften haben, in der selbst die dritte Generation von Migranten nicht integriert ist. Nicht erst seit der großen Zahl von Flüchtlingen muss sich Deutschland der Tatsache stellen, dass es ein Einwanderungsland ist. Dazu gehört eine klare Trennung zwischen Asyl und Einwanderung und die Selbstverständlichkeit, dass Migranten einem gewissen Druck durch Spracherwerb und Akzeptanz der hiesigen Regeln und Werte ausgesetzt sind, um möglichst bald hier Fuß zu fassen. Dies auch nur zu äußern, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen, ohne sich einem Schwall von moralinsaurer Kritik auszusetzen.

Taugen die Begriffe von rechts und links heute noch?

Es gibt die historische Erfahrung, dass man links eher mit progressiven und rechts eher mit konservativen Parteien und Ideen verbunden hat. Doch dies gilt heute nicht mehr uneingeschränkt. Die Linkspartei ist aus meiner Sicht heute alles andere als fortschrittlich und auch die CDU-Bundeskanzlerin könnten Sie kaum mehr als konservativ bezeichnen. Sie ist eine Realpolitikerin, die pragmatische Entscheidungen auch jenseits des Links-Rechts-Schemas trifft. Dies öffnet dann eben auch Räume für die AfD. Insgesamt verändert sich das Parteienspektrum so stark, dass man kaum mehr sagen kann, was zum Beispiel ein klassischer CDU- oder SPD-Wähler ist. Hier gilt, was Loriot einst auf die FDP münzte: „Die Liberalen sind auch im liberalen Sinne liberal“.

Herr Dr. Wachs, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch.

Fragen: helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de

www.hausrissen.org

Stiftung Elbphilharmonie Hamburg

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