4. Januar 2016
Magazin

„Therapie kann Spaß machen“

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INTERVIEW DES MONATS  

„Therapie kann Spaß machen“

Sagen Sie mal …
… Dr. Peter Becker, Psychotherapeut und Coach

Noch nie lebten die Menschen so sorgenfrei wie heute. Gleichzeitig suchen viele Rat und Hilfe bei Psychotherapeuten und Coaches. Der KLÖNSCHNACK sprach mit einem Experten fürs Seelenheil.

Möglicherweise sind Frauen emotional intelligenter …“ 
Möglicherweise sind Frauen emotional intelligenter …“ 
Herr Dr. Becker, Sie arbeiten seit vielen Jahren als Psychotherapeut. Welche Menschen kommen vorrangig zu Ihnen?

Zu mir kommen Menschen in allen erdenklichen, komplizierten Lebenslagen. Gestresste Männer und Frauen sozusagen. Wobei zu mir, als männlichem Therapeut, mehr Männer kommen, denn die Psychotherapie ist eine eher weibliche Form der Medizin. Grundsätzlich steht meine Praxis für alle offen, denn ich habe als ärztlicher Psychotherapeut auch eine Kassenzulassung.

Was führt die Menschen zu Ihnen?

Das ist ganz unterschiedlich. Es kommen aber zunehmend auch Menschen, die immer stark und erfolgreich waren und die doch dabei irgendwann unter Druck geraten. Von Freunden, dem Hausarzt oder Fachkollegen werde ich dann empfohlen. So kommen die Menschen zu mir und erzählen zunächst einmal, was ihnen auf der Seele liegt.

Welche Symptome begegnen Ihnen in Ihrer täglichen Arbeit?

Mir begegnen in meiner Arbeit Menschen mit Depressionen, Angst, Sucht- und Beziehungsproblemen. All das schränkt die Leistungsfähigkeit ein und die Seele gerät unter Druck. Der Mensch hat dann den Eindruck, nicht mehr richtig zu funktionieren. Er spürt, dass es so nicht weitergeht. Wobei ich einen Trend beobachte, dass die Menschen früher zu mir kommen und nicht erst, wenn ein Zusammenbruch droht.

Wie hat sich Ihr Betätigungsfeld in den Jahren Ihrer Freiberuflichkeit verändert?

Verändert haben sich die Diagnosen wie die Therapieformen. Das Thema „Burnout“ beginnt heute schon bei Schülern. Weil die Menschen immer mehr unter Druck geraten, kann von ihnen auch nicht mehr so viel unter den Teppich gekehrt werden. Das Verhältnis von Therapeuten und Psychiatern hat sich zudem verändert. Sie sind enger zusammengerückt.

Vor etwa 20 Jahren titelte der „Spiegel“ zum Thema Psychotherapie „Gaukler oder Heiler?“. Gibt es heute noch ein so stark ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Ihrem Metier?

Die Klienten sind lockerer geworden. Das gilt auch für die Therapeuten. Ich bin vor allem Praktiker, nicht so sehr Theoretiker. In meinem Sprechzimmer wird keiner von einer riesigen Bücherwand erschlagen.

Früher sprachen Menschen eher ungern über ihre Psychotherapie. Wie hat sich das verändert?

Da hat sich wohl rumgesprochen, dass Therapie Spaß machen kann und dass es sich lohnt, an sich zu arbeiten. Die Menschen sind insgesamt anspruchsvoller geworden und wollen Probleme loswerden, anstatt sie mit sich herumzuschleppen. Das ist großartig.

Traditionell gehen Frauen eher zum Therapeuten als Männer.

Das ist mit ein Grund dafür, dass es in meinem Metier mehr Frauen als Männer gibt. Möglicherweise sind Frauen auch emotional intelligenter. Ansonsten sehe ich inhaltlich keinen so großen Unterschied. Nach meiner Erfahrung sind weibliche Klienten emotional offener und Männer zielorientierter. Zu Ihnen kommen auch Mütter.

Was belastet sie so stark, dass sie therapeutische Hilfe brauchen?

„Nur“ zu Hause zu sein und viel mit seinem Kind zu tun zu haben, daneben wie vor der Mutterschaft voll im Beruf stehen zu wollen, diversen Hobbys nachzugehen, Freundinnen treffen – all das wird irgendwann zu viel. Hinzu kommen die Männer, die sich nicht mehr in der Verantwortung sehen, eine Familie allein zu ernähren und die sich selbst um die Kinder mit kümmern wollen. Die veränderten Männer- und Frauenidealbilder machen das Leben bunter, aber auch sehr viel komplizierter. Vielleicht liegen hier einige Gründe, dass in Deutschland so wenige Kinder geboren werden. Viele Kinder werden heute viel zu früh in Kitas gebracht, was ich und meine Fachkollegen sehr kritisch und mit großer Sorge sehen. Kinder brauchen in den ersten Lebensjahren Zeit und Zuwendung durch die Eltern, aber auch zufriedene Eltern. Als Therapeut bin ich sehr wertkonservativ geworden und denke heute mit viel mehr Respekt an die Lebensleistung „Elternschaft“.

Politik, Wirtschaft, tonangebende Theoretikerinnen und Frauenzeitschriften propagieren diesen Spagat von Mutterschaft und sogenannter Karriere.

Offenbar haben sich die Werte verändert und ich glaube, dass die Entwicklung zu einer familien- und kinderfreundlichen Gesellschaft noch nicht abgeschlossen ist. Es ist eine Tatsache, dass immer weniger Kinder geboren werden und viele Familien revidieren sogar den Wunsch nach einem zweiten Kind. In den wohlhabenden Elbvororten sind die Bedingungen offenbar günstiger und man sieht immer mehr kinderreiche Familien.

Angesichts Tausender von Therapie formen ist der Markt selbst für Experten mehr als unübersichtlich.

Als Klient macht es Sinn, sich nach einer anerkannten und seriösen Therapie umzuschauen und sich gut und kritisch zu informieren. Ein moderner Therapeut bedient sich heute mehrerer Behandlungselemente, eine allein glücklich machende Therapieform gibt es dabei nicht. Die Zeit, als das Eine als richtig, anderes als falsch galt, ist vorüber. Mein Credo: Nicht die Therapieform, sondern die Chemie zwischen Klient und Therapeut muss stimmen.

Nach wie vor schwören einige Ihrer Kollegen auf die klassische Analyse …

Das ist fast schon Old School, die „reine Lehre“ ist doch überholt. Viele andere Methoden hingegen haben ihre Berechtigung und man eignet sich Fertigkeiten aus vielen Therapiebereichen an. Letztendlich geht es darum, dass man seinen Klienten hilft, zu sich zu finden.

Urlaubszeiten oder auch Weihnachten erleben manche Paare als stark belastend. Scheidungsanwälte haben dann noch mehr als sonst zu tun.

Als Therapeut bin ich davon überzeugt, dass wir früh im Leben geprägt und geformt werden. Auch alles, was wir in den ersten drei Jahren an Belastungen erlebt haben, schleppen wir weiter mit uns rum – die Kindheit bestimmt unser Leben. „Alle Jahre wieder“ kommen zu Weihnachten viele Dinge zusammen: die alten und die aktuellen Probleme mit Familie und Partnerschaft, der Jahresend-Stress, der Zwang zur Harmonie zum Fest für die ganze Familie, die ganzen stressigen überhöhten Erwartungen – und dann kracht es eben! Deshalb halte ich meine Praxis auch an solchen Tagen offen. Ich will für meine Patienten da sein, weil sie dann vermehrt Zuwendung brauchen.

Trotz vielfältiger Therapieformen gehen manche Paare trotzdem eher zum Anwalt als zum Psychotherapeuten.

Das ist bedauerlich, wenn Konflikte nicht gelöst wurden. Das sollte man eigentlich vor dem Gang zum Anwalt einmal versuchen. Denn die erfolgreiche Problemlösung, also ein Therapierfolg, kann sich auch in einem fortgeschrittenen Alter einstellen. Konfliktschwäche, Selbstwertgefühl, unschöne Emotionen in bestimmten Situationen und das allgemeine Empfinden lassen sich lebenslang positiv verändern.

Gibt es nicht auch Menschen, die weniger unter einem zu behandelnden Problem als unter einer Missstimmung oder einfach nur schlechter Laune leiden?

Diese Menschen kommen eher nicht zu mir, weil sie nichts ändern wollen. Eine Therapie würde dann nicht funktionieren. Alle, die zu mir kommen, haben ihre guten, aber oftmals unbewussten Gründe und wollen etwas ändern. Wir finden gemeinsam auch immer den Grund heraus, warum ein Problem entstanden ist. Wenn wir nach einer aufwendigen Diagnostik das Grundthema gefunden haben, können wir gemeinsam daran arbeiten.

Einige Therapeuten, vor allem Analytiker, banden ihre Klienten oft über sehr viele Jahre an sich. Wie lange bleiben Ihre Klienten bei Ihnen?

Das ist sehr unterschiedlich. Einige wollen sich beraten lassen, kommen vier- oder fünfmal zu mir. Andere möchten an sich arbeiten, ohne krank zu sein, wollen aber bestimmte Themen bearbeiten oder sich optimieren. Beim Coaching kann die Zeit stark variieren. Therapien dauern in der Regel sechs Monate bis zu drei Jahren – bei einer Sitzung pro Woche.

Coaches scheint es in letzter Zeit mehr als Bäckereien zu geben. An den mehr oder weniger qualifizierten Beratern kommt offenbar kaum noch jemand vorbei.

Wenn ein erfahrener Therapeut ein Individual-Coaching anbietet, dann hat das auch einen therapeutischen Wert, wenn Sie so wollen „Psychotherapie beim Gesunden“. Das Coaching richtet sich also bei mir an Menschen, bei denen die Schwelle zur Krankheit nicht überschritten ist. Wer aber über Jahre hinweg ausgebrannt ist, ist in der Regel behandlungsbedürftig. Deshalb prüfe ich sehr genau, ob ein Coaching geht oder eher eine Therapie, die dann auch die Krankenkasse trägt, sinnvoll ist.

Was halten sie von einer Selbstoptimierung durch Coaching?

Viele Menschen denken, mehr sei auch mehr. Sie wundern sich dann über das häufige Coaching-Ergebnis, wenn sie feststellen, dass weniger mehr ist – gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit.

Herr Dr. Becker, der KLÖNSCHNACK dankt für das Gespräch.

Autor: helmut.schwalbach(at)kloenschnack.de

www.die-seele-staerken.de

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