2. Mai 2016
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Nach den März-Wahlen: Kommt es im September zu einem Berliner Desaster?

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DER HAUPTSTADTBRIEF

Nach den März-Wahlen: Kommt es im September zu einem Berliner Desaster?

Die Landtagswahlen in drei Bundesländern am 13. März waren nur der Anfang – die politische Landkarte Deutschlands wird gerade neu gezeichnet. Am 18. September wählen die Berliner. Wie wird die Karte danach aussehen? | Von Max Thomas Mehr

Eine gute Wahl: Seit der Wiedervereinigung residiert das Berliner Abgeordnetenhaus genau an der Nahtstelle zwischen Ost und West im Gebäude des Preußischen Landtags (im Bild der Plenarsaal), direkt gegenüber vom Martin- Gropius-Bau. Am 18. September 2016 wählt Berlin neue Abgeordnete. Was für eine Wahl wird das? PICTURE ALLIANCE/DPA/RAINER JENSEN
Eine gute Wahl: Seit der Wiedervereinigung residiert das Berliner Abgeordnetenhaus genau an der Nahtstelle zwischen Ost und West im Gebäude des Preußischen Landtags (im Bild der Plenarsaal), direkt gegenüber vom Martin- Gropius-Bau. Am 18. September 2016 wählt Berlin neue Abgeordnete. Was für eine Wahl wird das? 

PICTURE ALLIANCE/DPA/RAINER JENSEN
Wenn im September 2016 in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, dann zeichnet sich ein Ergebnis schon ab: Neben den etablierten Parteien werden zwei weitere Fraktionen in das Landesparlament einziehen: die FDP und die AfD. Mit ihrem Dazukommen werden die Verhältnisse noch unübersichtlicher als in Sachsen-Anhalt. Im künftigen Berliner Sechs-Fraktionen-Parlament wird es wohl weder für eine „große Koalition“ noch für ein rot-grünes oder rot-rot-grünes Regierungsbündnis mehr reichen. Denn die AfD saugt nicht nur nationalkonservative und nationalistische Wählerstimmen auf, sondern sammelt kräftig bis hin zu den sozialistischen ehemaligen Wählern der Linken.

Auch die Grünen können vor Verlusten in Richtung AfD nicht sicher sein. In Baden-Württemberg verloren sie 70 000 Wählerstimmen an die Alternative für Deutschland. Sind das plötzlich alles Ewiggestrige, die beim letzten Mal noch brav Grüne gewählt hatten oder die Linkspartei? Es waren eben nicht nur bisherige Nichtwähler, die aus Protest gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung der AfD ihre Stimme gaben. Und die Wahlforschung zeigt: Es waren mehr Junge als Alte. In der Tat: Was Wähler verschiedenen Alters und mit einem so unterschiedlichen politischen Hintergrund vereint, ist nicht mit der Angst vor Armut oder sozialem Abstieg abzutun. Es ist auch nicht die Angst vor einer ihnen fremden Religion. Es ist die – wie auch immer diffuse – Ahnung, dass Migration und Terror eben doch zusammenhängen und beide mit dem politischen Islam zu tun haben, der bei sich zuhause um Vorherrschaft unter den Muslimen ringt und hier die offene, westliche Gesellschaft bekämpft, wo immer er sie treffen kann.

Jetzt rächen sich die jahrzehntelange allein schon sprachliche Verniedlichung von Islam als „Multikulti“ und die Toleranz von Öffentlichkeit und Politik gegenüber den entstandenen Parallelgesellschaften mit ihren verschleierten Töchtern und den patriarchalischen Selbstbildern ihrer jungen Männer, die für die Offensive des Scharia-Islams empfänglich sind. Nach den Anschlägen von Paris, Ankara, Istanbul und zuletzt Brüssel weiß niemand, wo die Islamisten als Nächstes zuschlagen. Nicht auszudenken, was ein Anschlag in Berlin für politische Verwerfungen auslösen würde.

Bei den Wahlen in Berlin wird auch die FDP reüssieren. Denn wer mit der Migrationspolitik der Allparteienkoalition aus Regierung und Opposition nicht einverstanden ist, in der AfD keine Alternative für Deutschland sieht und als Demokrat dennoch wählen geht – dem bleibt dann eben: die FDP. Sie wird jene sammeln, die das irreführende Gerede von der Flüchtlingskrise, die tatsächlich eine Migrationsbewegung unabsehbaren Ausmaßes ist, und von der Eurorettung, die tatsächlich eine stille, kalte Massenenteignung ist, nicht hinnehmen wollen und sich einen politischen Verbündeten erhoffen. Es gehört zu den Besonderheiten des Landes Berlin, dass seine politischen Eliten bis nach Schließung der Wahllokale am 18. September 2016 so tun werden, als könne es zu keiner grundlegenden Machtverschiebung im Gefüge der politischen Parteien kommen. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Der Regierende Bürgermeister hofft im Roten Rathaus weiter auf Rotgrün, die Grünen träumen von einer linken Mehrheit in der Stadt, mindestens für Rotrotgrün müsse es doch reichen.

Und die CDU? Setzt sie auf die sogenannte Wechselstimmung, die Meinungsforscher meinen aus ihren Umfragen herausfiltern zu können? Jedenfalls ist ihnen zufolge nur noch ein Drittel der Wähler mit der Landesregierung in Berlin zufrieden. Doch die CDU ist Teil der Regierung – wie will sie da von einer Wechselstimmung profitieren? Ein Blick nach Brandenburg verschärft das Ungemach: Dort hat nach jüngsten Umfragen die AfD zu den Christdemokraten aufgeschlossen – beide erreichen je 19 Prozent.

Berlins städtische Zivilgesellschaft steht ratlos neben dem eh schon schrumpfenden und sich gleichzeitig vervielfältigenden Parteienkladderadatsch. Kommt nun zur linken Ostpartei noch eine rechte Ostpartei hinzu? Die FDP – wird sie tatsächlich wegen mangelnder Alternativen als Politzombie wieder auferstehen? Und wenn ja, mit welchem Berliner Personal, mit welchem Programm für die drängenden Probleme der wachsenden Stadt? Was bedeutet es, wenn ausgerechnet in Berlin das Parteiengefüge zusammenkracht, das die alte und die neue Bundesrepublik in den letzten 70 Jahren prägte?

Weit und breit kein Olaf Scholz, kein Winfried Kretschmann oder eine andere Identifikationsfigur, die diesen Transformationsprozess steuern könnte. Berlin fehlt es an überzeugendem politischen Personal, das nicht nur in den Parteiapparaten und auf Landesparteitagen überzeugen kann, sondern auch beim Wähler, und das für eine funktionierende Verwaltung sorgt und die wachsende Stadt fit macht. Allein im letzten Jahr 2015 sind 100 000 Menschen zugezogen, keinesfalls nur Migranten. Wie sollen die Neuen integriert werden – und wie die nächsten 100 000 in diesem Jahr 2016? Werden da die Bürgergespräche von Michael Müller ausreichen? Natürlich werden durch den Wanderungsdruck nach Berlin neue Gettos entstehen. Es ist naiv zu glauben, dies ließe sich durch staatliche, dirigistische Steuerung verhindern.

Es kommt noch etwas hinzu: Viel zu viele Berliner freuen sich über eine Stadtregierung, die nicht regiert. Freuen sich, dass innerstädtische Freiräume wie das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden und überhaupt alles bleibt, wie es ist. Marode Schulen und Straßen, ewige Baustellen und eine unfähige Verwaltung: „Det is eben Berlin.“ So ändert sich immerhin nichts am liebgewordenen Schlendrian.

Hauptsache, aus Berlin wird keine gentrifizierte Glitzermetropole, denkt der Politaktivist aus dem grünroten Milieu – und merkt nicht, dass planloses Dahinwursteln eben auch Fakten schafft. Denn gebaut wird ja trotzdem. Im Senat lächeln sie all das weg und sonnen sich im Licht neuerdings sprudelnder Steuereinnahmen. Dass die nicht von einer gesundenden Berliner Wirtschaft erzählen, sondern von wachsender Bevölkerung, steigendem Tourismus und ein bisschen mehr Geld aus dem Länderfinanzausgleich – wer will das schon wissen.

Berlin ist nicht mehr als eine Aneinanderreihung von mittelgroßen Städten, die hier Bezirke heißen.

Berlin krankt daran, dass die Stadt als politische Bühne nicht da ist. An kleinen Details lässt sich das trefflich beschreiben. So finden die September-Wahlen gerade mal 14 Tage nach dem Ende der Sommerferien statt. Im Vorfeld werden keine großen, auch keine kleinen sich alternativ gegenüberstehenden Konzepte für die Entwicklung der wachsenden Stadt mit den Wählern diskutiert. Stattdessen wird wieder eine Flut von Flyern und Luftballons in den Bezirken verteilt, die Partei-Plattitüden verbreiten. Der Citoyen, der die ganze Stadt im Auge hat, stört da nur. Berlin ist nicht mehr als eine Aneinanderreihung von mittelgroßen Städten, die hier Bezirke heißen. Daraus rekrutiert sich ihr politisches Personal. Eine Landeshauptstadt, eine zentrale Perspektive hat die Stadt nicht.

Keine der Parteien hat eine Antwort auf den politischen Islam, der sich in Westeuropa verbreitet und auch in Berlin zu Hause ist. Niemand hat eine Vorstellung von dem privaten Islam, den die knapp 60 000 Migranten 2015 mit nach Berlin gebracht haben. Bleibt am Ende für die Etablierten gar nur die Hoffnung, dass sich die Alternative für Deutschland von innen her selbst zerlegt. Was für eine Hoffnung, was für ein Armutszeugnis für eine Stadt, die sich selbst gerne als Metropole sieht.

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