1. Juli 2015
Magazin

Ethisch und kulinarisch-sozial 

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ZUR DISKUSSION – Stellungnahme 

Ethisch und kulinarisch-sozial 

GASTKOLUMNE: Jagd und Tisch 

Thies Goldberg, passionierter Jäger, außergewöhnlich talentierter Gastgeber und neben Othmarschen beruflich in der beratenden Welt zu Hause, über ein alltägliches Thema – das Essen an sich. 

Thies Goldberg
Thies Goldberg
Das legale Erlegen von Wildtieren in Deutschland löst immer wieder Kontroversen aus, auch wenn selbst die großen Umwelt- und Naturschutzorganisationen längst eingesehen haben, dass schon aus ökologischen und Artenschutzgründen auf die Jagd nicht verzichtet werden kann. Oft wird die Jagd als ein nicht mehr zeitgemäßes Tun angesehen, dies insbesondere in einer städtischen Umgebung bei fehlendem Bezug zu einem Leben in und von der Natur, wo Lebensmittel vom Gemüsestand oder aus dem Kühltresen kommen – oder gar tiefgefroren als Fertiggericht angeliefert werden.

So lohnt sich nicht nur der ethische Blick auf die Jagd, sondern auch der kulinarisch-soziale. Aller Respekt vor vegetarischer Ernährungs- und veganer Lebensweise ändert nichts daran, dass Fleisch länger zur menschlichen Nahrung gehört als das Brot. Nicht nur, dass die Jagdbeute bestes Biofleisch aus artgerechtem Aufwuchs ist und den Aposteln gesundheitsbewusster Ernährung schon deshalb nur gefallen kann. Sicherlich ist der herzhafte authentische Geschmack einer krossen Wildschweinkeule eine größere Freude als das Schrumpfkotelett aus der Turbomast. Auch ist ein zarter rosa Rehrücken mit Bärlauch-Püree nicht zu ersetzen durch ein magersüchtig-geschmackneutrales Stück Pfannenbeef mit vorgekochter Ofenkartoffel und glutamatschwangerem, längerhaltbarem Gewürzquark aus dem Plastiktöpfchen. Und ist nicht ein mild geräucherter Schinken vom Hirsch jeder Industriemettwurst aus dem Kunstdarm vorzuziehen? Nicht zuletzt eine Wildtaubenessenz mit Sherry statt einer Batteriehühnersuppe oder ein saftig gebackener Fasan statt Gummiadler vom Stundengrill.

Auch bei den vegetarischen Nahrungsanteilen ist es ein großer Gewinn, möglichst nah an das pure Gewächs zu kommen und nicht zum bereits von dritter Hand vor- oder zubereiteten Halbzeug zu greifen, bei dem meist unter Vernichtung der genussbestimmenden Aromen auch die wesentlichen Mineralstoffe und Spurenelemente ausgewaschen wurden.

Die Jagd hat in ihrem Ursprung eine existenzielle wie soziale Bedeutung: Die Jagdbeute wird mit der Erlegung zum Nahrungsmittel – nicht nur für den einzeln oder in der Gruppe jagenden Jäger, sondern auch für seine Sippe oder Clan. Das gilt in gewisser Weise auch noch heute. Mag die Jagd auch etwas Archaisches an sich haben, so verbindet sie doch nach wie vor Menschen miteinander – durch gemeinsames Jagen und Erbeuten genauso wie durch Teilen und Verzehren der Beute in Dorfgemeinschaft, Familie oder Freundeskreis.

„… der herzhaft authentische Geschmack einer krossen Wildschweinkeule ist eine größere Freude als ein Schrumpfkotelett aus der Turbomast.“
Man sollte die kontemplative und selbsterkennende Wirkung sowohl des Jagens als auch des Kochens nicht unterschätzen. Nicht nur, weil man bei beidem schnell die Grenzen der eigenen Fähigkeiten erfährt, sondern weil man diese auch nur selbst durch weitere ständige Übung verbessern kann. Fertiggerichte kaufen und im Restaurant bestellen kann schließlich jeder…

Spätestens im letzten Abendmahl wird die Gemeinschaft stiftende Wirkung erkennbar, die aus einer freundschaftlichen Einladung zu einem liebevoll bereiteten Gastmahl in froher Runde entspringt. In unserer materiell überbeschenkten Gesellschaft ist die größte Freude die gemeinsam verbrachte erfüllte Lebenszeit und die erfahrende höchstpersönliche Zuwendung.

Es gilt mit wachen Augen ausgesuchte Zutaten und mit eigener Hand erlegte Beute in heimischer Küche zu einem kulinarischen Geschenk an Familie und Freude zu verarbeiten. Sich die Mühe zu machen, gutes Essen als Kunsthandwerk und kreative Herausforderung zu verstehen, appetitlich anzurichten, und einen Tisch zu decken und zu dekorieren. Und nicht zuletzt einen guten zu den einzelnen Gerichten passenden Wein zu finden – und (wichtig!) genügend davon vorrätig zu haben. Wem geht nicht das Herz auf, Gast zu sein.

Das Convenience-Produkt aus dem Supermarkt ist wie die langweilige Political Correctness jeder Diskussion, der unreflektierte Strom aus der Steckdose und eine noch weitere Entfernung von uns selbst und voneinander.

Also: jagen gehen, Beute machen, selber kochen, Familie und Freunde einladen, Korken raus, frohe und gute Gemeinschaft pflegen.

Man kann aber noch einen drauflegen, z. B. mit einem selbstgefangenen Ostseedorsch vom Grill.
Thies Goldberg

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