4. Januar 2016
Magazin

Das Warten im Wartezimmer

<div general-layout-selector="#html_structura_area_v2

IM WARTEZIMMER 

Das Warten im Wartezimmer

GASTKOLUMNE: Christian Seevers, Allgemein- und Facharzt: Zermürbende Zeiten

Wer kennt das nicht? Langes, an der Geduld zerrendes Warten im Wartezimmer. Doch der Patient ist kein Paket, das sich in ein System zwingen lässt. Was sagt der Arzt dazu? Christian Seevers kommentiert.

Blankeneser Internist und Pneumologe Christian Seevers: „Patienten lassen sich nicht in starre Zeitplanung packen ...!“
Blankeneser Internist und Pneumologe Christian Seevers: „Patienten lassen sich nicht in starre Zeitplanung packen …!“
Seit Beginn der ärztlichen Tätigkeit in meiner Praxis begleitet mich die Diskussion über Wartezeiten, im Austausch mit meinen Patienten, in der ärztlichen Fachpresse und nun aktuell wieder in den Medien, wie vor einigen Monaten in der Runde bei Günter Jauch, dort erstaunlich sachlich geführt und ganz neu wegen einer gesetzlichen Regelung, die zu Beginn des Jahres 2016 auf den Weg gebracht wird. 

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11.11.15 durfte man Einzelheiten erfahren.

Diese Regelung sieht vor, dass vom 23.1.16 an jeder gesetzlich versicherte Patient (der sog. Kassenpatient) mit einer dringlichen Überweisung binnen einer Woche einen Terminvorschlag innerhalb der folgenden vier Wochen beim Facharzt bekommt.

Die Patienten sollen keinen Weg zum Facharzt haben, der länger als dreißig Minuten dauert.

Der Ablauf beginnt beim Hausarzt, der, wenn er einen dringlichen Behandlungsbedarf sieht, den Überweisungsschein mit einer zwölfstelligen Codenummer versieht. Eingeschränkt wird allerdings wie folgt: Der Patient kann durch dieses Verfahren keinen „Wunschtermin“ geltend machen und auch der „Wunscharzt“ ist nicht gewährleistet. Damit gibt es folgerichtig keine freie Arztwahl in diesem Verfahren, sondern einen zugewiesenen Termin bei einem zugewiesenem Facharzt.

Möge der Versuch gelingen …

Meine Meinung: direkter Kontakt zwischen Hausarzt und Facharzt per Telefon, kaum jemand bedarf dann dieses Systems! Die oben beschriebene Wartezeit ist die eine Definition der Wartezeit.

Die zweite Definition ist die Wartezeit, die ein Patient beim Arztbesuch erfährt, die idealerweise, zumindest bei einer Termin- oder Bestellpraxis, gegen Null gehen sollte. Zu Beginn meiner freiberuflichen Tätigkeit gab es noch jede Menge Seminare, in denen stylische Coaches mit gekonntem Auftreten einem erklärten, mit einem ausgefeilten Zeitmanagement mache man ein Wartezimmer nahezu überflüssig. Nur zu gern wollte man diesen Ausführungen folgen, als Jungdynamiker voll innovativer Ideen bezüglich des Praxismanagements.

Die Realität ist aber anders, bedingt durch viele Faktoren, die mit der Beschäftigung mit kranken Menschen zu tun haben.

„Häufig liegen die vom Patienten empfundenen Wartezeiten auch in deren Wahrnehmung …“

Der Patient, insbesondere bei Erstkontakt, muss nach seinen Beschwerden und seiner Krankengeschichte genau befragt werden, da danach wichtige Entscheidungen bezüglich weiterer Diagnostik gefällt werden müssen, um diese dann dem Patienten genau zu erklären. Das kann je nach Komplexität der Erkrankung und der individuellen Struktur des Patienten ein unterschiedliches Zeitmaß einnehmen.

Aber nicht nur „neue“ Patienten lassen sich nicht in eine starre Zeitplanung einfügen, auch die bekannten Patienten können mit Symptomen zur Kontrolle kommen, die ein Umdenken in Bezug auf die Erkrankung und ein Neufassen der Therapie notwendig machen.

Häufig liegen aber die vom Patienten empfundenen Wartezeiten auch in deren individueller Wahrnehmung:

Die Wartezeit beginnt nicht mit dem Betreten der Praxis. Anmelden und die Untersuchungsgänge sind ebenso wenig Wartezeit wie die Zeit, die entsteht, wenn Patienten weit vor dem Termin kommen, weil sie sich bei der Anfahrt verkalkuliert haben.

Wenn man nun gerade die langen Wartezeiten auf einen Facharzt-Termin in einem erträglichen und verantwortbaren Maße lassen will, muss man bei einer limitierten Wochenarbeitszeit dringliche Patienten zusätzlich mit einplanen. Gerade diese Patienten sind häufig besonders komplex in der Anamnese und Therapieentscheidung.

Man sieht also unschwer, dass beide Wartezeiten in einer Praxis voneinander gegenseitig beeinflusst sind:

ist man bemüht, dringliche Patienten ohne lange terminliche Wartezeiten zusätzlich anzunehmen, muss dies zwangsläufig durch so entstehende zusätzliche Patienten während der Sprechstunde zu längeren Wartezeiten der in der Praxis befindlichen Patienten führen.

Am Ende der Betrachtung fließen zusammengefasst sehr verschiedene Faktoren ein, die die Wartezeiten in der Praxis beeinflussen:

Von Seiten des Patienten sind es dessen Vorbereitung auf den Arztbesuch, das Bereithalten wichtiger Informationen seiner Anamnese, die individuelle Möglichkeit, zwischen Arzt und Patient einen stringenten Dialog zu führen, von Seiten des Arztes, die individuelle Situation, in der sich der Patient befindet, schnell zu erfassen und daraus klare diagnostische und therapeutische Schritte abzuleiten.

Lassen Sie uns mit gegenseitiger Geduld und Verständnis Ihren Beschwerden begegnen!

Christian Seevers

NSI Nordsee-Internat
Grossmann & Berger

Auch interessant